Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne
sie anfangs darauf gewesen, sich in solch illustren Kreisen zu bewegen, und doch fühlte sie sich dort nicht wohl. Dieser Prunk, die steife Etikette hatten weder etwas mit der Welt zu tun, in der sie – obschon eine Prinzessin von Geburt – aufgewachsen war, noch damit, wie sie bislang ihr Leben verbracht hatte. Ihrem Empfinden nach passte sie nicht in diese feine Welt der Adligen und zog sich mehr und mehr daraus zurück.
Mit ihrer Witwenpension, die sie als Bürgerin des Deutschen Reiches nun erhielt, und dem bisschen, was die Spekulationen ihres Hamburger Vormunds Krämer mit den Wertpapieren noch übrig gelassen hatten, brachte sie sich und ihre Kinder mehr schlecht als recht durch. Eigenständig immerhin, denn das Gericht in Dresden hatte entschieden, dass FrauRuete keines Vormunds bedurfte, weder für sich selbst noch um ihre Kinder großzuziehen.
Es waren vor allem die Kinder, die die Jahre wie im Flug vergehen ließen. Sie wuchsen zu eigenen kleinen Persönlichkeiten heran, mit eigenen Kümmernissen und Freuden. Tony, die Vernünftige, Besonnene; Said, dessen Halsstarrigkeit in eine grüblerische Ernsthaftigkeit überging, und die immer fröhliche, überschwängliche Rosa, die Emily aufmunterte, wenn sie unter der Last von Not und Sorgen wankte. Darin war sie ganz wie ihr Vater, an den sie keine Erinnerung besaß, und nannte ihre Mutter manchmal scherzhaft »mein Kind«.
Emily stand Todesängste aus, als Said an Diphtherie erkrankte und in seiner Krisis schon ganz steif in seinem Bettchen lag, sodass Emily glaubte, sie werde noch ein Kind verlieren; als die beiden Mädchen Scharlach hatten und Emily Said für einige Zeit bei Nachbarn unterbringen musste, damit er sich nicht auch noch ansteckte. Ihre eigenen Leiden, hervorgerufen von all den Ängsten, die sie plagten, verbarg sie vor ihren Kindern, so gut es ging.
Ihre Kinder waren auch der Grund, weshalb sie nach fünf Jahren ihre Zelte in Dresden abbrachen und im Frühjahr 1879 nach Rudolstadt an der Saale umzogen. Obwohl Emily ihnen selbst Lesen und Schreiben beigebracht hatte, war es höchste Zeit, dass sie zur Schule gingen, und in dem beschaulichen thüringischen Städtchen, von dichten Wäldern umgeben, konnte sie sich das auch leisten.
Emilys Name, der in Deutschland bei Weitem kein unbekannter war und der sogar schon den Weg in Zeitungsartikel gefunden hatte, hatte sich offenbar sogar bis nach Rudolstadt herumgesprochen, denn die drei hatten kaum ein paarTage die Schule besucht, als sie eines Nachmittags über die Schwelle stürmten, atemlos und mit vor Aufregung roten Wangen.
»Stimmt das«, quietschte Tony, »stimmt es, was die anderen Kinder sagen? Dass du eine echte Prinzessin bist? Aus einem fernen Land?«
Und während Said seine Mutter nur mit offenem Mund anstarrte, als sähe er sie zum ersten Mal, rief Rosa aus: »Erzähl doch, Mama, erzähl!«
Emily schwieg einen Augenblick, verlegen und unbeholfen. Dann holte sie sich einen Stuhl heran und zog die Kinder an sich.
»Ja, das stimmt. Ich bin die Tochter eines Sultans von Sansibar, und auf Sansibar wurde ich geboren. In Beit il Mtoni, dem ältesten Palast auf der Insel. Und dort habe ich bis zu meinem siebten Lebensjahr auch gelebt …«
Die Augen ihrer Kinder glänzten, als erzählte sie ihnen ein besonders schönes Märchen. Sie bestürmten ihre Mutter mit Tausenden von Fragen und konnten nicht genug davon bekommen, von ihr zu erfahren, wie sie denn gelebt hatte auf Sansibar, wie viele Geschwister sie hatte, wie ihr Vater gewesen war und ihre Mutter. Sie lauschten gebannt, wenn Emily ihnen schilderte, was man auf Sansibar trug und was man aß, wie gefeiert wurde und wie die Häuser aussahen.
Es war in Rudolstadt, dass Emily das Schreiben für sich entdeckte. Zögerlich zuerst, ihre Notizen als Gedächtnisstütze benutzend, was sie ihren Kindern schon alles über Sansibar erzählt hatte und was ihr erst einfiel, wenn sie schon selig schlafend im Bett lagen. Es tat wohl, sich spätabends im Schein einer Lampe in ihrer Vorstellung wieder an die Orte ihrer Kindheit zu begeben und in Worte zu fassen, was sie vorihrem inneren Auge sah, an welche Gedanken und Gefühlen sie sich erinnerte.
… Orangenbäume, so hoch wie die größten Kirschbäume hier, blühten dicht an dicht die Badehäuser entlang. In ihren Ästen haben wir als kleine Kinder aus Furcht vor unserer gestrengen Lehrerin oft Schutz und Zuflucht gesucht … Der schönste Platz in Beit il Mtoni war die dicht am Meer
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