Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne
hing schwarz und schwer in der Luft.
Finster waren die verdunkelten Räume, in denen sich des Sultans Witwen aufhielten, um ihren Herrn zu betrauern, und schwarz waren die dichten Schleier, die sie sich überwarfen, wenn sie doch einmal aus dem Haus mussten. Schwarz wie die schmucklosen Masken, deren raue Struktur empfindliche Wangen zerkratzte und deren Fasern derart von Indigo durchtränkt waren, dass sie Spuren auf dem Gesicht hinterließen. Vor allem, wenn man weinte. Und geweint wurde viel auf Sansibar in diesen Tagen und Wochen.
Klar und deutlich erinnerte sich Salima daran, wie alles in banger Vorahnung nach unten geströmt war, wie die Tore sich öffneten und Majid und Barghash vor die Bewohner des Palastes traten. Seite an Seite die beiden ungleichen Brüder – von goldbraunem Hautton und sanftem Auftreten der eine, dunkel und mit verbissener Entschlossenheit der andere –,deren versteinerte Mienen sich im Ausdruck doch so ähnlich waren. Es hätte keiner Worte mehr bedurft, um die leidvolle Nachricht zu überbringen.
Alles an Salima war wie taub, und sie selbst war wie eingehüllt in eine schwarze Wolke, die kaum etwas zu ihr durchdringen ließ und die ihre Seele verdunkelte.
Die Kugel im Bein, die Sayyid Sa’id schon vor vielen Jahren hätte töten sollen, der es damals jedoch nicht gelungen war und die ihm dafür elendige Pein verursacht hatte, hatte seinem Leben nun doch ein Ende bereitet. Langsam und qualvoll, mit hohem Fieber und rasch schwindenden Sinnen. Barghash war sein Wächter gewesen am Krankenlager auf der Kitorie , das zum schwankenden Totenbett wurde. Und Barghash war es auch gewesen, der noch in der Nacht dem Orkan die Stirn bot und den Vater in einem Beiboot auf die Insel überführte, um ihn in aller Stille im Familiengrab beizusetzen – anstatt seinen Leichnam dem Meer zu übergeben, wie es der Glaube für Todesfälle auf See vorschrieb.
»Es war des Sultans Wunsch und Wille«, hatte Barghash aufrechten Hauptes verkündet, eiserne Härte in der Stimme und jeder Zoll ein Sultanssohn, »in unserer Mitte seine letzte Ruhe zu finden. All seine Gedanken in den letzten Stunden galten Euch, seinen Frauen und seinen Kindern, die er schutzlos zurückgelassen hatte. Auf seinen Befehl hin ließ ich den Palast unter Bewachung stellen, damit sich keine umstürzlerischen Kräfte sammeln und sich Eurer bemächtigen konnten, um so die Herrschaft an sich zu reißen. Nichts anderes hat mich zu diesem Schritt bewogen als meines Vaters Wort und die Sorge um Euer Wohlergehen. Allah war mein Zeuge!«
Vier Monate währte das strenge Zeremoniell der schwarzen Trauer, nach deren Ablauf Muhammad, der zweite omanische Sohn des verstorbenen Sultans, aufgrund seiner Frömmigkeitund Weisheit noch zu Lebzeiten vom Vater zum Nachlassverwalter bestimmt, die Aufteilung des Erbes überwachte und sich dann beeilte, das entsetzlich sittenlose Sansibar wieder zu verlassen. Alle sarari bekamen die Freiheit geschenkt, die Erlaubnis zur Wiederverheiratung und ein kleines Erbe – die kinderlosen ein wenig mehr, weil diese von nun an ganz auf sich gestellt waren, ohne Söhne und ohne Töchter, die für sie sorgen würden. Die Plantagen Sayyid Sa’ids und dessen Vermögen wurden zu gleichen Teilen unter seinen Kindern aufgeteilt, wobei die Söhne doppelt so viel erhielten wie ihre Schwestern: Güter zur Gründung einer eigenen Familie für die männliche Linie, Nadelgeld für die weibliche, wie es das Gesetz wollte.
Es wurde still im Palast. Still und leer.
Salima blieb, obwohl vorzeitig für mündig erklärt und mit einer Plantage nebst Wohnhaus und etwas mehr als fünftausend englischen Pfund als Erbe bedacht. Anders als Ralub, anders als Metle, als Hamdan oder Jamshid, die keine Zeit verloren, ihren jeweils eigenen Hausstand zu gründen. Salima blieb Djilfidan zuliebe, die einen weiteren Umzug fürchtete und sich in ihrer aufrichtigen Trauer um den Sultan an Chole und an Khaduj klammerte.
Doch vor allem blieb Salima, weil sie selbst Angst vor der Zukunft hatte. Mündig zu sein, für sich und für ihre Mutter zu sorgen, für ein ganzes Haus nebst Sklaven, für eine ganze Plantage nebst Arbeitern – wie hätte sie das mit ihren zwölf Jahren bewältigen sollen? Wo sie doch gesehen hatte, wie die erwachsene Khaduj an den Aufgaben in Beit il Watoro beinahe gescheitert wäre oder Chole an den Anforderungen in Beit il Sahil? Mehr und mehr begriff Salima in den folgenden Monaten, dass mit dem Tod des Vaters eine Epoche
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