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Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne

Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne

Titel: Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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zu Ende gegangen war. Die fünf Dekaden umspannende Ära, die Sayyid Sa’id mit seiner Thronbesteigung eingeläutet und in der er das Reich der Dynastie zu so großer Ausdehnunggebracht hatte, war vorbei. Statt einer einzigen Familie, die auf zwei große Häuser verteilt war, gab es nun Geschwister und Stiefmütter, die über die ganze Insel verstreut lebten. Und anstatt sich aus der unerschöpflichen Schatulle des Sultans zu bedienen, aus der alles bezahlt wurde, was man brauchte oder was man begehrte, musste jeder mit seiner eigenen Barschaft haushalten, die zwar nicht gering war, aber nichtsdestoweniger beschränkt. Die Salimas ebenso wie die ihrer Mutter, die Choles ebenso wie die Khadujs. Die Welt, wie Salima sie gekannt hatte, lag in Trümmern.
    Nach dem Gesetz war Salima eine erwachsene Frau, und auch ihr Körper schien es plötzlich eilig zu haben, die Kinderzeit hinter sich zu lassen. Scheinbar über Nacht bildeten sich Andeutungen von Rundungen, die gestern noch nicht da gewesen waren, und in ihrem Bauch zwickte es manchmal unangenehm, noch ehe ihre monatliche Blutung eingesetzt hatte. Anfälle von grundlos schlechter Laune und zielloser Wut wechselten sich mit Augenblicken ab, in denen sie alles so lustig fand, dass sie nicht mehr aufhören konnte zu kichern. Hilflos taumelte Salima an der Schwelle zwischen Mädchen und Frau entlang und war sich selbst eine Fremde geworden.
    Und sosehr sie sich auch bemühte, nichts auf das Gerede zu geben, das in der Stadt herumschwirrte, so schnappte sie doch das eine oder andere davon auf. Thuwaini, der im Oman seinem Vater als Herrscher nachgefolgt war, giere nach dem reicheren Sansibar. Seine Flotte an Kriegsschiffen, brüderlich zwischen ihm und Majid gegen Auszahlung aller anderen Geschwister aufgeteilt, liege schon vor Muscat bereit. Majid sei ein schwacher Herrscher, zu krank für die schwere Bürde seines Amtes, umgeben von machthungrigen und bestechlichen Ratgebern, bedrängt von ausländischen Mächten, die ihren Teil vom fetten sansibarischen Kuchen abhaben wollten. Und obwohl Majid sich an jenem Morgen nach derSturmnacht vor den Toren des Palastes als ältester Sohn des hiesigen Familienzweigs und als wali des verblichenen Sayyid Sa’id zum rechtmäßigen Herrscher von Sansibar ausgerufen hatte, beharre auch Barghash nach wie vor auf seinem Anspruch auf den Thron, unterstützt von einflussreichen arabischen Händlern auf der Insel.
    Je mehr Zeit nach des Sultans Tod verstrich, desto klarer trat hervor, dass Majid zwar die Amtsgeschäfte des Vaters übernommen hatte, sich in aller Form Sultan Sayyid Majid bin Sa’id betiteln ließ, dass Sansibar jedoch einem prunkvoll ausgestatteten Schiff glich, das auf hoher See vor sich hintrieb und dabei prächtig anzusehen war, dessen Ruder, Masten und Segel aber einem schweren Sturm womöglich nicht standzuhalten vermochten.
    Ganz ähnlich fühlte Salima sich in dieser Zeit – schwankend und unsicher, wie ein Blatt im Wind. Beit il Tani stellte ihren sicheren Hafen dar, und Chole und Djilfidan waren ihr starker Anker. Als Salima dreizehn war und das Fleckfieber sie auf das Krankenlager warf, als sie tagelang besinnungslos war und man in der Not sogar einen englischen Arzt holte und nur eine glückliche Fügung Salima ins Leben zurückholte. Mit vierzehn, als sie unglücklich vom Pferd fiel, sich den Arm brach und die Knochen lange nicht wieder zusammenwachsen wollten. Und auch mit fünfzehn Jahren noch, als sie ein rotseidenes Gewand geschenkt bekam, das die Haut jucken und brennen und ihren Leib anschwellen ließ.
    Wie die Wasserzungen des Ozeans über die Strände der Insel strichen, wusch auch die Zeit über Sansibar hinweg und nahm mit sich den Schmerz um den Vater.
    Mit jeder Welle ein kleines bisschen mehr.
9
    Sansibar glühte.
    Des Tags knallte die Sonne auf die Insel herab und wurde noch greller von den Dachterrassen und von den Hausmauern zurückgeworfen, steigerte die leuchtenden Farben bis ins Schmerzhafte. Eine scharfe Linie, wie mit dem Stichel eingeritzt, trennte Licht und Schatten, von dem es viel zu wenig gab und in dessen vermeintlichem Schutz man vergeblich auf eine Spur von Kühle wartete. Das Leben auf Sansibar erlahmte gänzlich. Jeder Schritt, jede Regung schien zu viel, und selbst der flachste Atemzug ließ Schweiß aus allen Poren hervorbrechen. In den Nächten war es kaum besser. Unter dem silberbestickten Himmelssamt stand die Luft dick und schwül, und kein Palmfächer, von Sklavenhand

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