Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne
Feder gekrampft, mühselig und sehr, sehr krakelig die Schleifen, Schnörkel und Punkte von den Koranseiten auf die glatte Knochenfläche übertragend.
Auf der Suche nach einem bestimmten Buch, das er zuletzt vor zwanzig Jahren hier gesehen hatte, hatte Adnan sie bei ihren Schreibübungen ertappt und sich voller Rührung über den Eifer des Mädchens und nach langem Betteln Salimas dazu erweichen lassen, sie heimlich zu unterrichten.
Es war nicht so sehr die Lust am Lernen, die Salima dabei antrieb. Vielmehr spornte der Gedanke sie an, etwas zu können, das kein anderes Mädchen, keine Frau sonst konnte. In etwas viel, viel besser zu sein als ihre Brüder, denen es genügte, wenn sie am Ende ihrer Schulzeit in der Lage waren, ein kurzes Schriftstück mehr schlecht als recht zu verfassen. Die Kunst des Schreibens wurde nicht besonders gepflegt auf Sansibar. Botschaften teilte man lieber mündlich einem Laufburschen mit, der diese dann dem Empfänger gegenüber wiedergab, oder man beauftragte einen Berufsschreiber. Selbst der Sultan ließ Briefe nur dann schreiben, wenn es unumgänglich war, und schriftliche Verträge schloss er nur mit Ausländern; unter Arabern und Afrikanern bevorzugte man eine Absprache von Angesicht zu Angesicht, die mit einem Handschlag besiegelt wurde.
»Wenn dem Dufthauch von Jasmin und Rose«, diktierte Adnan gerade, »aus einem verborgnen Garten ich auf meinem Weg –«
»Salima!«
Erschrocken fuhr sie auf und starrte mit geweiteten Augen zur Tür.
» Umma … Was machst du denn hier?«, kam es kleinlaut von Salima.
Djilfidan blickte voll Entsetzen zuerst auf Salima, dann auf Adnan, danach auf die achtlos auf den Boden geworfene Maske und auf die schele , schließlich auf das Schreibwerkzeug in der Hand ihrer Tochter. Es war nicht klar, was für sie den größten Frevel darstellte: dass Salima sich allein in der Gegenwart eines Mannes befand, der kein enger Verwandter warund auch kein Eunuch wie die Leibdiener des Sultans, und dass Salima zudem noch unverschleiert war – oder dass sie heimlich schreiben lernte. Wie eine Furie ging Djilfidan auf ihre Tochter los, verpasste ihr links und rechts eine Ohrfeige, dass Salima die Feder fallen ließ und sich feine Tintenspritzer überall verteilten.
»Ich hab dich überall gesucht«, rief sie vorwurfsvoll, als sie das Mädchen am Arm packte, hochzerrte und aus dem Raum führte. »Und was muss ich sehen?! Du lässt dir das Schreiben beibringen! Kein Mann wird dich mehr nehmen, wenn er davon erfährt! Keiner! Willst du lieber unverheiratet bleiben? Was wird unser Herr, der Sultan, dazu sagen?! Du machst ihm Schande! Uns allen!«
An Salima perlte die Schelte ab wie Wasser vom Gefieder einer Ente. Stumm und scheinbar ungerührt nahm sie zur Kenntnis, dass Adnan gegen eine hübsche Summe Geld gebeten wurde, Beit il Tani nicht mehr zu betreten, und dass die Kisten mit den Büchern und das Schreibgerät aus dem Haus verschwanden.
Inwendig wiederholte Salima immer wieder dieselben Worte. Wie ein Gebet.
Was ich kann, kann ich. Das nimmt mir keiner mehr.
7
Tag um Tag wartete man in Beit il Sahil und in den anderen Häusern auf die Ankunft der Flotte des Sultans. Tage, die sich erst lose aneinanderreihten, sich dann zu der ersten Woche sammelten, zu nächsten und übernächsten. Die freudige Erwartung wich banger Anspannung, schließlich Besorgnis und Furcht. Obwohl die Zeit der starken Winde von Südwest gerade zu Ende war und die der Winde von Nordosten noch nicht angebrochen, ließ ein Sturm das Meer aufkochen, zerfetzte die schmeichelnde blaue Seide des Meeres und durchpflügte sie brutal. Das Tosen der Wellen, die auf die vorgelagerten Korallenbänke krachten, war bis in den Palast zu hören.
»Ich sehe das Schiff des Sultans«, säuselte ein Stimmchen. Krächzig klang es, unterlegt von einem dumpfen Knurren. »Ein stolzes Schiff, umgeben von anderen Schiffen.«
Ein Raunen ging durch die Frauen, die eng aneinandergedrängt auf ihren Polstern saßen, in gebührendem Abstand zu der Wahrsagerin in ihrer Mitte, der man ehrfurchtsvoll einen Rohrstuhl mit dicken Kissen angeboten hatte. Breitbeinig hockte das alte Weib darauf, sich mit dem Oberkörper vor und zurück wiegend und die klauenartigen Finger auf ihren angeschwollenen Leib gepresst, in dem seit Jahr und Tag ihr ungeborenes Kind lebte. Ein allwissendes Kind, das seinen Geist indie Lüfte erheben und von allem berichten konnte, was sich auf der Welt zutrug, selbst »auf dem höchsten aller
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