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Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne

Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne

Titel: Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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Berge und auf dem Grund des tiefsten Ozeans«, wie die Wahrsagerin verkündet hatte.
    »Ich lasse mich auf dem Mast mit den roten Flaggen nieder«, kam es weiter aus dem Bauch der Alten, und ihr vogelartiger Kopf unter dem bunten gewickelten und geknoteten Tuch nickte zustimmend, die runzligen Lippen fest zusammengekniffen, »und schaue von oben auf das Deck hinab. Da ist er, unser aller Herr, wie er aufrecht steht und der Heimat entgegenblickt, die ihn so lange entbehren musste …«
    Die Frauen des Palastes seufzten erleichtert auf, drückten einander die Hände; einige von ihnen schluchzten.
    Salima in ihrem Winkel neben der Tür war wie gebannt und angewidert zugleich. Die Wahrsagerin stieß sie ab, noch mehr die Vorstellung, dass diese wirklich seit Jahren ein Menschlein in ihrem Bauch leben hat, und doch konnte sie das alles nicht als reines Ammenmärchen abtun. Dieses grässliche Weib, das nach ranziger Butter roch, war bislang die letzte einer ganzen Reihe von weisen Alten und zauberkundigen Frauen, die gegen klingende Münze in den Palast gebeten worden waren, um Gewissheit über das Schicksal von Sultan Sayyid Sa’id zu erlangen. Allah war zwar allmächtig und gütig, doch die an ihn gerichteten Gebete um einen Fingerzeig waren bislang nicht erhört worden.
    Als ein Blitz das Dämmerlicht des Raumes zerriss, hatte Salima genug. Sie sprang auf und flüchtete in ein leeres Gemach, von dessen Fenster aus sie auf das Meer blicken konnte.
    Düstere Wolkenwände hingen über den aufkochenden Wellen, und der Sturm ließ die Schiffe im Hafen an ihren Leinen tanzen wie Spielzeug in der Hand von groben Jungen. Wie schrecklich, jetzt auf offener See zu sein! In Salimaballte sich alles kalt und hart zusammen vor Angst um den Vater, und sie begann leise zu beten, in das Wüten des Wetters hinein, und als ihr die Worte ausgingen, fing sie wieder von vorn an. In der festen Überzeugung, den Vater vor aller Unbill bewahren zu können, wenn sie ihr ganzes Herz, ihre ganze Seele in diese Gebete legte.
    Blitze zuckten durch die Wolkenmassen. Dann rollte ein Donnerschlag heran und verklang nur zögerlich unter dröhnendem Nachhall. Regen setzte ein, strömend und klatschend, schoss in Wasserfällen von den Dächern, spülte den Staub von den Häusern, gurgelte in Sturzbächen die Gassen entlang, in denen Schmutz, Unrat und Abfälle durcheinanderwirbelten. Die Fäulnisgerüche der Stadt, der Gestank der Abwässer wurden weggewaschen, bis nur noch die salzige Frische der See in der Luft lag.
    Als würde die ganze Stadt ins Meer gespült werden.
    Es machte Salima nichts aus, dass der Sturm den Regen durchs offene Fenster blies und sie durchnässte – vielleicht konnte sie Allah und alle Geister von Himmel, Meer und Erde bewegen, den Vater zu verschonen, wenn sie sich aufopferte und das Los der Schiffe draußen so gut zu teilen versuchte wie möglich.
    In das abebbende Krachen des Donners hinein drangen laute, aufgeregte Stimmen, durchsetzt von Schluchzern. Salima schluckte, fuhr herum und jagte durch Gemächer und Flure, die Treppen hinab, bis sie auf Chole stieß, die ihr entgegenrannte.
    »Salima, wo steckst du denn«, rief sie ihr lachend zu. Die Angst entließ Salima aus ihrem Griff, und sie atmete auf. Die Art, wie Chole strahlte, konnte nur Gutes verheißen: Die Freude, die Chole versprühte, ließ sie noch schöner aussehen. Ihre großen braunen, leicht mandelförmigen Augen schimmerten, ihre makellose helle Haut war rosig überhaucht, und sogar ihrkaffeedunkles Haar schien aus sich heraus zu leuchten. Salima spürte die samtweiche Haut, die seidigen Stoffe und nahm Choles unverwechselbaren Duft aus Rosen und Frangipani auf, als die Schwester sie umarmte. »Sie sind in Sicht! Die Schiffe des Vaters sind in Sicht«, jubelte Chole. »Ein Fischer hat sie draußen gesehen, konnte aber nicht näher an sie herankommen wegen des Sturmes. Zwei bis drei Stunden brauchen sie wohl noch bis in den Hafen – nicht länger! Ach, es gibt noch so viel zu tun bis dahin«, rief sie und war auch gleich davongeeilt.
    Nun ist alles gut. Salima stand noch einige Herzschläge lang wie betäubt da, dann breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus.
    Ja, nun war alles gut. Alhamdu li-llah , Allah sei Dank.

    Es war längst dunkel, doch noch immer war die Flotte nicht eingelaufen. Wieder flackerte die Angst auf, in Beit il Sahil, Beit il Hukm und vor allem auch in Beit il Watoro. Denn jetzt galt die Sorge nicht mehr nur dem Vater, sondern

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