Sterne über Tauranga - Laureen, A: Sterne über Tauranga
ein dreister Doppelgänger, den ihre Mutter engagiert hatte, um ihre Tochter dorthin zu lenken, wo sie sie haben wollte?
Heinrich Bensdorf musterte seine Tochter unnachgiebig. Ricarda wurde klar, dass sie ihn durch nichts von seinem Standpunkt abbringen konnte. Dieses Mal nicht. Vielleicht hätte sie etwas sagen sollen, aber ihr fiel nichts ein. Sie konnte nur daran denken, dass sie die Forderung zu heiraten von ihrer Mutter erwartet hätte - von ihrem Vater allerdings nicht.
Wortlos sprang sie auf und stürmte zur Tür hinaus.
In den nächsten Tagen würde man sie wahrscheinlich mit Missachtung strafen, aber das würde sie nicht von ihrem Ziel abbringen. Es bedeutete nur, dass sie jetzt härter kämpfen musste.
Noch spät in der Nacht saß Ricarda am Schreibtisch und schrieb im Schein ihrer Petroleumlampe an ihrer Bewerbung. Aus Gewohnheit trug sie dabei ihr Korsett, denn sie hatte das Gefühl, dass es sie bei ihrem Vorhaben stützen würde. Ansonsten trug sie nur ihr Leibchen und ihre Spitzenunterhosen. Ihre Schuhe standen vor dem Bett, das Kleid lag unordentlich über dem Stuhl daneben. Es hatte ihr kein Glück gebracht.
Kratzend bewegte sich die Feder über das Blatt, wobei Ricarda aufpassen musste, dass sie nicht kleckste, was mit dem abgenutzten Schreibgerät aus ihren Studientagen gar nicht so einfach war. Außerdem musste sie sich mäßigen, um den Federhalter in ihrer noch immer schwelenden Wut nicht allzu heftig in das Tintenfass zu stoßen.
Als sie den Abschnitt, in dem es um ihre Ausbildung ging, beendet hatte, lehnte sie sich zurück und betrachtete ihr Werk.
Eigentlich hatte sie andere Pläne gehabt. Nach ein paar Tagen Erholung wollte sie in aller Ruhe ihre Unterlagen sammeln und ihr Schreiben in Schönschrift verfassen.
Jetzt saß sie hier, übermüdet und mit brennenden Augen und tintenbeschmierten Fingern wie eine Schülerin am Mädchengymnasium, die in den Karzer gesteckt worden war. In ihrem Inneren rumorte es. Hätte sie damit rechnen sollen, dass ihre Eltern nun nur daran dachten, sie zu verheiraten?
Wahrscheinlich schon. Sie hatte sich vermutlich etwas vorgemacht. Ihr Examen hatte an der Einstellung ihrer Eltern nichts geändert: Eine Frau brauchte einen Mann an ihrer Seite, sonst galt sie nichts. Ricarda seufzte. Mit zitternden Fingern setzte sie die Feder erneut auf das Papier. Es war bereits der dritte Versuch. Bei allen anderen hatte sie sich verschrieben, die Blätter zusammengeknüllt und einfach auf den Boden geworfen.
So hatte sie es auch in ihrem Studentenzimmer gehalten, während sie ihre Hausarbeiten geschrieben hatte. Ihre Mutter wäre über die Papierkugeln sicher entsetzt, doch seit dem Streit im Esszimmer hatte sich niemand blicken lassen. Ricarda musste sich also keinen Zwang antun. Sie bedauerte nur, dass es hier kein Bildnis ihrer Eltern gab, sodass sie mit den Knäueln keine Zielübungen machen konnte. Wie kindisch!, schalt sie sich sogleich. Sieh lieber zu, dass du die Bewerbung endlich fertigstellst!
Seltsamerweise erinnerte sie sich plötzlich wieder an ihren ersten Tag im Hörsaal. Die Kommilitonen hatten sie unentwegt angestarrt. Der Professor hatte sich zwar bemüht, ungerührt zu dozieren, doch die Stille im Auditorium war unnatürlich gewesen. Ricarda hatte gewusst, dass es an ihr lag; sie hatte die bohrenden Blicke in ihrem Rücken förmlich gespürt. Sie waren ihr wie gewaltsame Berührungen vorgekommen. Und wochenlang hatte sie Getuschel und spitze Bemerkungen ertragen müssen.
Was mochte erst geschehen, wenn ihre Bewerbung auf den Tisch des Leiters der Charite flatterte? Würde auch sie Befremden oder gar Belustigung auslösen?
Zweifelnd sah Ricarda zum Fenster, gegen das sich die Dunkelheit schmiegte, nur unterbrochen vom Licht der Gaslaternen, deren Leuchtkörper wie die Perlen einer Kette über der Straße zu schweben schienen. In der Fensterscheibe spiegelte sich Ricardas Gesicht, das von der Lampe auf dem Schreibtisch beleuchtet wurde. Würden die Männer jemals akzeptieren, dass hinter ihrer schönen Fassade ein guter Verstand steckte? Würden sie je akzeptieren, dass Frauen nicht nur Gebärmaschinen und Mittel zur Befriedigung ihrer Lust waren?
»Oh nein«, stöhnte Ricarda, als ein Tropfen Tinte auf ihren dritten Entwurf kleckste, genau auf die Stelle, an der sie ihr Studium in Zürich aufgeführt hatte.
Sie würde das Schreiben also noch einmal aufsetzen müssen. Wütend warf sie den Federhalter von sich, der dabei eine Tintenspur auf
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