Sterne über Tauranga - Laureen, A: Sterne über Tauranga
verließ sie den Salon. Als sie die Tür hinter sich zugezogen hatte, lehnte sie sich gegen die Wand und schloss die Augen. Sie war erschöpft wie nach einer Prüfung.
Rosa tauchte vor ihr auf, in der Hand das gewünschte Gedeck.
»Bringen Sie das zurück in die Küche, Rosa, es wird nicht mehr gebraucht!«
Doch das Dienstmädchen blieb wie versteinert stehen und schien nicht so recht zu wissen, was von ihm erwartet wurde.
»Nun gehen Sie schon, ich brauche das Gedeck wirklich nicht.«
Noch einen Moment verharrte Ricarda an der Wand, bevor sie sich von ihrem Platz löste und auf ihr Zimmer in der ersten Etage zusteuerte. Während sie sich vornahm, den Salon in den nächsten Tagen zu meiden, ertönte eine warme Männerstimme.
»Ricarda!«
Ihr Vater stand auf der halben Treppe. Er trug einen eleganten Gehrock zu dunklen Hosen. Das Hemd darunter war blütenweiß und gestärkt, die Schuhe blank poliert.
»Vater!«
Ricarda rannte ungestüm die Stufen zu ihm hinauf.
Heinrich Bensdorf breitete die Arme aus und fing sie auf. »Ich dachte mir, ich mache heute ein wenig eher Schluss, wenn meine Tochter nach so langer Zeit heimkehrt.«
Sie schmiegte das Gesicht an die Schulter ihres Vaters. Wenigstens er verhält sich wie immer. Und er roch so wie immer. Seinem Anzug entstieg ein leichter Karbolgeruch, der sich mit dem Duft von Kölnisch Wasser mischte. Das graue Haar kitzelte ihre Wange, und für einen Moment fühlte sie sich in ihre Kindheit zurückversetzt.
»Es ist so schön, dich wiederzusehen«, sagte sie und drückte ihn an sich. »Dich habe ich von allen am meisten vermisst.«
»Dass das ja nicht deine Mutter hört, es wird sie kränken!«
Sie weiß es ohnehin, dachte Ricarda, korrigierte sich jedoch schnell: »Ich habe euch beide vermisst. Ein Jahr kann furchtbar lang sein.«
»Das stimmt, aber jetzt bist du hier. Du hast dein Diplom und bist eine richtige Ärztin.«
»Du hättest sehen sollen, wie schwer sich die Herren Professoren bei meiner Prüfung getan haben. Beinahe zwei Stunden haben sie mir alle möglichen abwegigen Fragen gestellt.«
»Und du hast sie beeindruckt.«
»Sie haben mir immerhin ein magna cum laude gegeben. Soweit ich weiß, haben das in meinem Jahrgang nur fünf andere geschafft.«
Bensdorf fasste sie an den Schultern, lächelte und sagte: »Ich bin stolz auf dich. Wir beide sind es.«
Ein Lächeln huschte über Ricardas Gesicht.
»Warst du schon bei deiner Mutter?«
Sie nickte. »Da komme ich gerade her. Sie hat Besuch, und die Damen waren ziemlich schockiert darüber, dass ich studiert habe. Sie vermuten, dass ich jetzt eine dieser Frauenrechtlerinnen bin, die Hosen tragen und Männer verschrecken.«
Ihr Vater schüttelte leicht den Kopf.
Ricarda seufzte. »Wenigstens werden sie zu Hause etwas zu erzählen haben.«
»Was hältst du von einem kleinen Spaziergang?«, fragte er sie unvermittelt.
»Sehr viel«, antwortete sie und hängte sich bei ihrem Vater ein. Es ist wirklich schön, wieder zu Hause zu sein, dachte sie.
3
Den Rest des Tages verbrachte Ricarda auf ihrem Zimmer. Der Spaziergang hatte ihr gutgetan, und sie hätte ihn noch eine Weile fortsetzen können. Doch ein Laufbursche war erschienen und hatte ihren Vater zum Geheimrat Hohenfels gerufen. Ihn plagte wieder einmal das Asthma, kein Wunder bei dieser Witterung. Ricarda hätte ihrem Vater beinahe vorgeschlagen, ihn zu begleiten, aber wahrscheinlich hätte der Geheimrat dann vor Schreck einen Herzanfall bekommen. Konservativ, wie er war, würde er keine Ärztin an seinem Krankenlager dulden.
Ricarda machte sich daran, ihre Tasche auszupacken. Sämtlichen Kleidern, die sie vor der Abfahrt gereinigt und fein säuberlich gefaltet hatte, haftete noch der Geruch der Universität und des Sektionssaales an. Andere mochten ihn unangenehm finden, bei Ricarda weckte er Erinnerung an eine wechselvolle Zeit. Sie würde darauf bestehen, dass die Sachen nicht noch einmal gewaschen wurden, auch wenn ihre Mutter gewiss darauf drängen würde.
Als sie ihre Kleidung auf dem Bett ausgebreitet hatte, hängte sie das Diplom, das sie zum Abschluss erhalten hatte, an die Wand. Sie hatte es gleich am Tag nach der Abschlussfeier rahmen lassen, damit es in ihrer Tasche keinen Schaden nahm. Liebevoll strich sie mit dem Finger über das Glas.
Als der Abend über der Villa hereinbrach, stand Ricarda mit klopfendem Herzen vor dem Spiegel und betrachtete sich.
Das Reisekostüm hatte sie gegen eines ihrer besten Kleider
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