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Sterne über Tauranga - Laureen, A: Sterne über Tauranga

Titel: Sterne über Tauranga - Laureen, A: Sterne über Tauranga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Laureen
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versuchte sich vorzustellen, welche Geschichte sich hinter jedem einzelnen verbarg.
    Schließlich verließ sie die Birkenallee und bog auf die Invalidenstraße ein. Nach einer Weile konnte sie das Hauptgebäude der Klinik sehen. Seit ihrer Gründung vor fast zweihundert Jahren hatte sich hier so einiges getan. Bauten waren hinzugekommen, neue Abteilungen eröffnet worden.
    Entschlossen strebte Ricarda auf das Pförtnerhaus zu.
    Ein paar Männer kamen ihr entgegen, und der Karbolgeruch, der sie umwehte, wies darauf hin, dass es Ärzte waren. In der Annahme, dass Besucher des Hospitals nicht verstehen würden, was sie sich im Fachjargon erzählten, plapperten sie munter über Gallensteine und Blasenleiden. Ricarda, die jedes Wort verstand, schmunzelte und setzte ihren Weg fort.
    »Was kann ich für Sie tun, Fräulein?«, fragte der Pförtner im Tonfall eines Mannes, dem eingeschärft worden war, den heimischen Dialekt nicht bei der Arbeit zu benutzen.
    »Ich würde gern einen Brief für Professor Gerhardt abgeben. Kann ich ihn bei Ihnen hinterlegen?«
    »Nee, Fräulein, da jeh'n Sie mal selbst zu ihm, sonst bin ick wieder schuld, wenn was wegkommt.«
    Für einen Moment war das Berlinerische wieder da, was Ricarda lächeln ließ.
    »Sein Büro ist im Hauptgebäude?«
    Der Pförtner nickte. »Erstes Stockwerk. Ist nicht zu übersehen.«
    Ricarda bedankte sich und machte sich auf den Weg. Seit Kindertagen kannte sie die Geschichte der Charite, angefangen von der Gründung im Jahre 1772 bis zum heutigen Tag. Eine moderne Medizin wollte man schaffen. Eine Medizin, in der hoffentlich auch Platz für Frauen ist, sinnierte Ricarda - und das nicht nur als Patientin.
    Auch im Verwaltungsflügel des Hauptgebäudes schlug ihr der vertraute Geruch nach Karbolsäure, Chlor und Formalin entgegen. Die Mauern waren damit vollgesogen. Sie eilte an Ärzten und Krankenschwestern vorbei und stieg die Treppe, die unter ihren Füßen leise knarrte, zum ersten Stock hinauf. Hier überdeckte der Geruch von Bohnerwachs alle anderen Gerüche.
    Das Büro des Direktors war wirklich nicht zu übersehen. Auf einem blank polierten Messingschild neben der Tür waren Titel und Name eingraviert. Ricarda verharrte unschlüssig davor. Ein wenig zitterten ihre Hände nun doch. Wenn Professor Dr. Gerhardt da war, was sollte sie ihm sagen?
    Als auf dem Flur Stimmen laut wurden, klopfte sie und trat nach Aufforderung durch eine Frauenstimme ein.
    Die Sekretärin war eine schlanke Frau mit streng zurückgekämmtem Haar. Trotz ihres Kleids wirkte sie geschlechtslos, wie es wohl von arbeitenden Frauen erwartet wurde. »Sie wünschen?«, fragte sie, während sie Ricarda von Kopf bis Fuß musterte.
    Ricarda streckte ihr den Umschlag entgegen. Diese Frau sollte gar nicht erst glauben, dass sie sich einschüchtern ließe.
    »Ich möchte, dass Sie diesen Umschlag Herrn Professor Dr. Gerhardt geben. Er ist nicht zufällig in seinem Büro, oder?«
    Erst im nächsten Augenblick wurde sich Ricarda ihrer Kühnheit bewusst. Was, wenn sie das bejahte?
    »Tut mir leid, aber der Professor macht gerade Visite.«
    Ricarda wusste nicht, ob sie enttäuscht oder erleichtert sein sollte.
    »Gut, dann wäre ich Ihnen sehr dankbar, wenn Sie ihm den Umschlag auf den Schreibtisch legen würden.«
    »Das werde ich.« Die Sekretärin lächelte.
    Nachdem Ricarda sich bedankt hatte, verließ sie das Büro.
    Im Gang lehnte sie sich für einen Moment gegen die Wand und atmete tief durch. Sie hatte es gewagt! Welchen Ausgang die Sache auch nehmen würde, sie hatte ihre Bewerbung abgegeben. Hieß es nicht, dass das Glück auf Seiten der Mutigen ist?
    Männerstimmen holten sie in die Gegenwart zurück. Drei Herren in dunklen Anzügen betraten den Flur, ihre Schritte hallten beinahe im Gleichklang über das Parkett. Ricarda ging ihnen entgegen.
    Einer der Männer war der Direktor. Ricarda hatte ihm auf einem der Bälle einmal die Hand geschüttelt, nachdem ihr Vater sie miteinander bekannt gemacht hatte. Aber das lag über ein Jahr zurück. Bestimmt würde er sich nicht an sie erinnern. Obwohl er nicht besonders hochgewachsen war, strahlte er Autorität aus. Sein graues Haupthaar war schütter, sein Vollbart hingegen wirkte imposant. Er redete in eindringlichem Ton mit seinen Begleitern, offensichtlich zwei jüngere Ärzte.
    Ricarda hätte sich gewünscht, dass der Professor sie wiedererkennen würde, doch er war zu sehr in das Gespräch mit seinen Kollegen vertieft. Keiner von ihnen schien sie

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