Sternen Stroemers Lied - Unter dem Weltenbaum 02
erreichte. Die letzten beiden Brüder, die dort noch Dienst getan hatten, waren längst in die Festung umgezogen. Doch hatte der Axtherr den älteren der beiden Mönche gebeten, sich heute mit ihm dort zu treffen. Eine Reihe von Fragen harrten der Antwort. Gut möglich, daß Axis hier etwas mehr über seine Mutter erfuhr.
Die schwere Holztür des Gebäudes stand offen und hing nur noch halb in ihren Angeln. Der Krieger trat rasch ein. Auch wenn es in der Zuflucht fast so kalt war wie draußen, fühlte man sich hier doch wenigstens vor dem mörderischen Wind geschützt. Axis sah sich um. Das Innere der Räume trug immer noch die Spuren des Angriffs von Gorgraels Kreaturen, den Skräbolden und den Skrälingen, obwohl er schon einige Monate zurücklag. Die frühere Zuflucht für Mönche, die beschlossen hatten, ihr Leben in stiller Kontemplation im Norden Ichtars zu verbringen, bot nun ein Bild des Jammers: zerfetzte Bilder und zerrissene Wandteppiche bewegten sich in den Windstößen, die durch die offenen Türen hineindrangen, und zerbrochene Möbelstücke bedeckten den Boden. Der Krieger wickelte sich noch fester in seinen Mantel und wanderte durch die Räume im Erdgeschoß. Hier und da stieß er auf lose Buchseiten oder zerbrochene Keramik. Hinter einer Tür hingen noch zwei Kutten, eine weitere an einem Nagel an der Wand. Ihre Träger lebten längst nicht mehr.
Bruder Franz erwartete ihn in der Küche. Als Axis eintrat, beugte er sich gerade über einem umgedrehten Kessel und richtete sich jetzt langsam und unter Rückenschmerzen auf.
»Seid mir gegrüßt, Axtherr.« Der Mönch ließ den Blick durch den Raum schweifen. Die durchscheinende, von blauen Venen durchzogene Haut spannte sich straff über die zerbrechlichen Schädelknochen. »Hier fanden die meisten Brüder in der Nacht des Angriffs den Tod. Sie glaubten nämlich, hier Waffen zu finden.« Franz hob einen Schürhaken auf und hielt ihn mit trauriger Miene in der Hand. »Aber mit Eisenstangen und Pfannen konnte man sich kaum gegen die Kreaturen zur Wehr setzen, die in jener Nacht über uns herfielen.«
»Dennoch konntest du entkommen«, bemerkte der Krieger und stellte sich vor den alten Mann.
Der Mönch senkte den Blick, als fühle er sich schuldig. »Ja. Bruder Martin, ein junger Bursche, zog mich geistesgegenwärtig in einen Wäscheschrank. Dort verbargen wir uns und mußten mit anhören, wie um uns herum die Mitglieder unserer Gemeinschaft in Stücke gerissen wurden. Betet darum, Axtherr, daß Ihr von solcher Zeugenschaft verschont bleibt.«
Dann schwiegen sie beide. Axis hing seinen Gedanken nach, während Franz durch die Küche schlurfte, Töpfe und Pfannen vom Boden aufhob und diese ordentlich in die Regale zurückstellte.
»Bruder, weißt du, wer ich bin?« Der Krieger sah ihm geradewegs ins Gesicht. Franz sah die Sinnlosigkeit seiner Beschäftigung ein und blickte zurück.
»Ja, das ist mir bekannt«, nickte er. »Die Soldaten auf den Straßen sprechen von kaum etwas anderem. Sie schwärmen von Euren Patrouillen, Eurem Mut und Euren Führungsqualitäten. Ihr heißt Axis, Sohn der Rivkah, und Ihr wolltet Euch mit mir treffen, um mehr über Eure Mutter zu erfahren.«
»Sie ist hier gestorben.«
Der Mönch war für einen Moment verblüfft, hatte sich aber rasch wieder in der Gewalt. »Die Edle hat Euch hier zur Welt gebracht, Axis, aber sie starb woanders, nicht hier.« Er lächelte bedauernd, als er bemerkte, daß seine Worte den Axtherrn aus der Fassung brachten. »Ich bin heute ein alter Mann, Axis, und mich schrecken die Drohungen von einst nicht mehr. So lange habe ich Schweigen bewahrt und Jahr für Jahr einen Bruder oder … anderen beerdigt, der um das Geheimnis wußte. Ich fürchte, nun bin nur noch ich übrig, der die Wahrheit kennt …« Franz zögerte, ehe er fortfuhr: »Wir alle fürchteten uns damals vor dem Zorn des Königs – zu jener Zeit saß Karel auf dem Thron – und den Bespitzelungen des Herzogs Searlas. Deswegen hat keiner von uns jemals ein Wort über die Umstände Eurer Geburt verloren. Aber inzwischen habe ich solches Grauen gesehen und erlebt, daß der Zorn der Sterblichen mich nicht länger schrecken kann. Und heute steht der Mann vor mir, der einst als Säugling seine Mutter verlor. Ich werde sprechen, wenn Ihr das wünscht.«
Der Krieger dachte kurz nach. »Nein, besser nicht, Bruder. Vielleicht ist die Gefahr für dich noch nicht vorüber. Der Herzog von Ichtar beherrscht die Stadt Gorken, und ich will nicht,
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