Sternen Stroemers Lied - Unter dem Weltenbaum 02
gekommen, mich zu ermorden?«
Zwei geistliche Brüder traten ein, stellten sich ans Bett und würdigten Rivkah kaum eines Blickes. Sie schwiegen, tauschten einige Blicke aus, und dann beugte sich der größere der beiden hinab, wickelte Rivkah in das verschmierte Laken, auf dem sie lag, und hob sie hoch. Als die Mönche sich umdrehten, um das Zimmer zu verlassen, hatte Faraday ihre Gesichter sehen können und wußte, wer sie waren: Jayme und Moryson.
»Du hast mich wohl beraten«, erklärte Jayme Moryson im Plauderton. »Wir bringen sie zum Rand der Eisdachalpen und lassen sie dort liegen. Sollen die Krähen ihr verderbtes Fleisch fressen.«
»Recht so«, bestätigte der andere, »wir brauchen sie nicht mehr.«
Die Edle ließ den Krieger los und trat einen Schritt zurück, um ihn anzusehen. Seine Züge wirkten gleichzeitig verhärtet und zerbrechlich. »Der Leichnam, der hier in der Krypta lag«, erklärte er grimmig, »war nicht der meiner Mutter. Die Krähen werden inzwischen ihre Knochen sauber abgenagt haben …« Er wandte sich hilflos an Faraday: »Dreißig Jahre habe ich diesem Mann vertraut. Er war wie Vater und Mutter für mich. Und heute muß ich erfahren, daß er und Moryson meine Mutter ermordet haben.«
Faraday wollte etwas sagen, aber ihr Mund war so trocken, daß sie sich erst räuspern mußte. »Aber warum haben sie nicht auch Euch umgebracht? Wieso ließen Sie Euch am Leben?«
»Das weiß ich nicht. Aber bei allem, was mir heilig ist, eines Tages werde ich sie das selbst fragen … und ihnen danach die Kehle durchschneiden.«
Faraday nahm ihn wieder in ihre Arme. Aber er erwiderte die Geste nicht und ließ seine Arme schlaff herabhängen. Seine Augen starrten vor sich hin. Alles war Lüge gewesen. Alles, was sein Leben zusammengehalten hatte, drohte nun, es völlig zu zerstören.
In der Gasse stand verborgen im Schatten Timozel. Voller Ungeduld und Wut wartete er darauf, daß Axis und Faraday endlich wieder aus der Zuflucht auftauchten. Vor einer guten Stunde war ein alter Mönch herausgegangen und die Straße zur Festung hochgegangen. Aber der Krieger und die Edle waren ihm nicht gefolgt. Was trieben sie in dem Haus? Nur der Umstand, daß die Herrin anscheinend aus freiem Willen die Zuflucht aufgesucht hatte, hinderte den Jüngling daran, sofort hineinzustürmen und nach dem Rechten zu sehen.
Er würde sie eindringlich ermahnen, daß ihr Schicksal mit dem Bornhelds verbunden war. Die Edle war so schwach und beeinflußbar, da brauchte sie eine starke Hand, die sie auf den rechten Weg führte.
Alle Schlachten waren geschlagen. Timozel saß zusammen mit seinem Herrn vor dem prasselnden Kaminfeuer, und die Herzogin ruhte an ihrer Seite. Alles hatte sich zum Guten gewendet. Timozel hatte das Licht und damit seine Bestimmung gefunden.
Sie tranken aus Kristallpokalen, genossen den besten Wein. Faraday hatte ihr Hochzeitskleid angelegt.
Alles war, wie es sein sollte.
Unsichtbar für Timozel stand der Dunkle hinter ihm. Hatte ihm eine Hand auf die Schulter gelegt. Und lachte stumm, bis ihm die Tränen kamen.
12 D IE H AINE
Zu Anfang der dritten Woche des Schneemonds und vier Tage vor dem höchsten Fest, dem Jultidenfest, traf der Geistbaum-Klan in den Hainen der nördlichen Ausläufer Awarinheims ein, dort wo der Wald an das Gebirge stieß. In der vergangenen Woche hatten sie die letzte der awarischen Sippen getroffen, die ebenfalls zum Fest zog. Und so kamen an diesem Tag gut achtzig Männer, Frauen und Kinder an der heiligen Stätte an. Barsarbe hatte Aschure dringend geraten, mit keinem der anderen Awaren zu sprechen, bis die Klans über ihren Fall beraten hatten. Der kalte Blick der Zaubererpriesterin verfolgte sie, und so ging die Menschenfrau den anderen Sippen tunlichst aus dem Weg. Meist saß sie abends allein an einem kleinen Feuer, während die Awaren Gerüchte und Neuigkeiten austauschten. Gelegentlich gesellte sich Goldfeder zu Aschure. Manchmal fanden auch Pease, Schra oder Ramu den Weg zu ihr. Immer noch sagte sich die junge Frau, daß ihr Weggang von Smyrdon das einzig Richtige gewesen sei. Aber inzwischen fragte sie sich, ob es nicht einen besseren Weg gegeben hätte, Ramu und das Mädchen zu befreien.
Manchmal machte sich Goldfeder Sorgen um Aschure, weil sie sich so ungewohnt still verhielt. Aber sie selbst übte sich ja auch schon seit Jahren in Schweigen und hatte deswegen Verständnis dafür, wenn jemand nicht reden wollte. Und seit die Menschenfrau ihr verraten hatte,
Weitere Kostenlose Bücher