Sternen Stroemers Lied - Unter dem Weltenbaum 02
erleben durfte, hat mir nur noch größere Achtung vor Euch eingeflößt. Als ich noch in Smyrdon lebte, empfand ich nichts als Leere und Schmerz. Awarinheim aber hat mir den tiefsten Frieden geschenkt, den ich bislang kennenlernen durfte. Und so wiederhole ich noch einmal meine innigste Bitte: Nehmt mich bei Euch auf.«
Mirbolt nickte ihr zu. »Danke für Eure Worte, Aschure. Ramu, führt unseren Gast nun in den Steinkreis, während wir mit den Klans beraten wollen, wie unsere Entscheidung aussehen soll.«
Der Zaubererpriester führte die Acharitin durch den nächsten Steinbogen, und Mirbolt schritt nun die Reihen der Awaren ab und unterhielt sich leise mit jedem, der etwas zu der Angelegenheit zu sagen hatte. Aschure sah Ramu voller Hoffnung und Verzagtheit an. »Was glaubt Ihr? Werden sie mich annehmen?«
Er antwortete nicht darauf, sondern führte sie näher an das Heiligtum heran. »Kommt, laßt mich Euch unterdessen dem Erdbaum vorstellen.«
»Dürft Ihr das denn?«
Ramu grinste, und seine weißen Zähne hoben sich deutlich von der dunklen Haut ab. »Ich glaube kaum, daß der Erdbaum seine Wurzeln herausziehen und davonrennen wird. Er hat in seinem langen Leben schon bedeutend Schlimmeres gesehen.«
Beide schritten Hand in Hand auf das Heiligtum zu. Allein schon der Stamm wirkte gewaltig. Wohl fünfzehn Männer hätten nicht ausgereicht, ihn mit ausgestreckten Armen zu umfassen. Zögernd streckte Aschure eine Hand aus und berührte die Rinde, die sich glatt wie Seide und angenehm kühl anfühlte. Sie lächelte und strich sanft darüber. Der Stamm fühlte sich so lebendig an, als atme er. Und dabei behauptete der Seneschall, Bäume und Wälder seien böse und von Übel. Welch Unsinn! Kein Bruder hatte wohl jemals Gelegenheit gehabt, dieses Heiligtum zu berühren. Aschure sah Ramu fragend an.
»Der Erdbaum steht schon so lange hier, wie die Awaren sich um ihn kümmern«, erklärte der Zauberer. »Wir glauben fest daran, daß die Gesundheit des Erdbaums ursächlich vom Wohlergehen Awarinheims abhängt. Als vor vielen, vielen Jahren Euer Volk«, er wandte sich von ihr ab, »ganz Awarinheim bis zur heutigen Grenze vernichtete, soll der Erdbaum todkrank geworden sein. Viele Generationen waren nötig, ehe er sich wieder erholte. Selbst heute steht er noch nicht wieder so grün und gesund da wie ehedem. Wir glauben, wenn der Erdbaum stirbt, wird auch das Volk der Awaren untergehen.« Nun berührte auch Ramu den Stamm. »Ohne ihn könnten wir nicht leben …«
Dann aber lächelte er. »Ach, Aschure, seit dem furchtbaren Massaker an Awarinheim sucht der Erdbaum den Schmerzen durch Schlaf zu entkommen und träumt seine großen Träume. Könnt Ihr Euch seine Macht und Herrlichkeit vorstellen, wenn er erst einmal wieder erwacht ist? Wir alle freuen uns schon unsagbar auf diesen Tag.«
»Aschure.« Die Stimme hinter ihr ließ die Frau zusammenfahren. Mirbolt war in den Steinkreis getreten.
»Meine Liebe«, begann sie mit traurigem Gesicht, und der Acharitin sank das Herz. »Unser Volk hat zu einer Entscheidung gefunden. Eure Not rührt ihr Mitgefühl, und sie sind Euch überaus dankbar dafür, Ramu und Schra gerettet zu haben. Aber … Eure Gewalttaten haben die Klans zu sehr aufgebracht. Doch könnten sie Euch nach einiger Zeit auch das vergeben. Deshalb dürft Ihr die Pfade Awarinheims ungehindert beschreiten und auch mit dem Geistbaum-Klan umherwandern, so lange Euch das gefällt. Doch ins Volk der Awaren werdet Ihr nicht aufgenommen. Es tut mir sehr leid.«
Aschure wurde in den Knie weich, und sie schwankte. Ramu umfing sie, damit sie nicht zusammenbrach. Die Dorfbewohner von Smyrdon hatten die junge Frau geduldet, aber nicht wirklich in ihre Gemeinschaft aufgenommen. Und genau dasselbe stand ihr nun bei den Awaren bevor.
»Ich verstehe«, sagte Aschure schließlich. »Vielen Dank, daß ich wenigstens bei Euch bleiben darf.«
13 I N DER H AND A RTORS
»Gorgrael!« flüsterte der Geist in höchster Erregung und stürzte sich mit seinen langen Klauen begehrlich auf den Reiter.
Bornheld versetzte der Kreatur den tödlichen Stich ins Auge und verfluchte dabei den Schweiß, der ihm von der Stirn rann und seine Sicht behinderte. Rings herum schlugen sich seine Soldaten mit großem Mut. Vor etwa einer Stunde war die Patrouille von den Skrälingen überfallen worden, und lange hatte es so ausgesehen, als würden der Herzog und seine Streiter unterliegen.
Aber die Männer wehrten sich nach Kräften, und nach
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