Sternen Stroemers Lied - Unter dem Weltenbaum 02
war, besaßen die Awaren doch die stärkste Verbindung zu den Bäumen. Darauf jedoch wußten die Zaubererpriester nichts zu entgegnen.
Ramu trat vor und berichtete ausführlich darüber, wie er das Menschenmädchen vor die Mutter geführt, von der starken Bindung, die sich zwischen beiden gleich entwickelt, und von dem kostbaren Geschenk, der Holzschale, das die Gemeinschaft der Gehörnten ihr gemacht habe. Eines Tages würde Faraday vor dem Erdbaum stehen und die Awaren in die Sicherheit ihres gelobten Landes führen. Und danach würde sie ihnen den Sternenmann präsentieren. Aber bis dahin verginge wohl noch einige Zeit. Und in der Zwischenzeit nähre Gorgrael hoch oben im Norden seinen gefährlichen Haß.
Doch alles werde gut ausgehen, schloß Ramu seine Ansprache, und jeder Fuß werde seinen Pfad zum Heiligen Hain finden. Diese Worte stimmten die Awaren sehr nachdenklich, und für eine längere Weile erkühnte sich niemand, seine Stimme zu erheben.
Schließlich trat die Führerin wieder in den Innenkreis. »Mein Volk, laßt uns gemeinsam beraten über einen besonderen Fall, der heute nacht entschieden werden muß. Ein Gast weilt unter uns, Aschure, die Tochter des Pflughüters von Smyrdon, dem Dorf gleich jenseits von Awarinheim.« Als sich nun alle Blicke zu ihr wandten, verkrampfte sich ihr Magen. »Kommt bitte zu mir, Aschure.«
Goldfeder gab ihr einen leichten Stoß, und die junge Frau erhob sich und schritt mit größerer Ruhe als der, die sie innerlich empfand, durch die Reihen der Awaren. Sie bemühte sich, sich nichts von ihrer Furcht anmerken zu lassen, und ging tapfer zu Mirbolt, die aus dem Steinrund getreten war und ihr entgegenkam. Die Oberpriesterin besaß ein freundliches Gesicht. Aber wer ihr in die Augen sah, hatte das Gefühl, in einen See zu fallen. Und keiner wußte, was sich unter seiner Oberfläche verbarg – harter Fels oder Wasser, weich wie ein Kissen. Sie nahm Aschures Hand und führte sie außen um den Steinkreis herum, damit alle Awaren sie sehen konnten.
»Diese junge Frau kommt mit Hoffnung und Schmerz im Herzen zu uns«, erklärte Mirbolt. »Als Ramu und Schra sich schon verloren glaubten, hat sie die beiden vor den Ebenenbewohnern gerettet.« Viele der Waldläufer lächelten Aschure nun zu. »Doch um dies zu können, hat sie zu Gewalt gegriffen. Zu solch einer Gewalt, wie wir sie eigentlich nicht dulden können.«
Die Zauberin berichtete weiter, wie Aschure ihren Vater zu Tode gebracht und einen Axtschwinger niedergestreckt hatte. Jetzt wandten sich die Blicke vieler Awaren von der jungen Frau ab.
Nun trat Ramu vor und ergriff Aschures andere Hand. Er lächelte ihr ermutigend zu und wandte sich dann an sein Volk. Und er berichtete ihm, wie er und Schra zugrunde gegangen wären, wenn die Menschenfrau ihnen nicht beigestanden hätte. Er kündete davon, wie Aschure sie versorgt hatte, auch wenn sie fürchten mußte, von ihrem Vater verprügelt zu werden. Dann verwies er darauf, wie schlecht sie von dem Pflughüter behandelt worden sei und ihr Rücken noch die Narben davon trage. Mitgefühl strömte der Frau nun von den Waldläufern entgegen, und sie wagte zum ersten Mal, auf einen glücklichen Ausgang zu hoffen. Ramu verschwieg auch nicht, wie Schra wunderbarerweise Hagens Blut als Gabe an die Mutter angesehen habe. (Die Zauberer hatten gerade diese Frage sehr lange erörtert, das Zeichen aber nicht so recht zu deuten gewußt.) Am Ende wandte er sich direkt an seine Retterin und forderte sie auf: »Nun sprecht Ihr, Aschure. Sagt uns, wie es in Euch aussieht, was Ihr denkt und fühlt.«
Die Acharitin blinzelte. Darauf war sie nicht gefaßt gewesen, und angesichts all dieser Awaren und dieses heiligen Ortes befiel sie große Scheu. Aber an Mut hatte es ihr noch nie gemangelt, und so richtete sie sich gerade auf und sprach.
»Ich danke Euch, heute abend hier bei Euch sein zu dürfen. Und auch dafür, Gelegenheit zu erhalten, mich an Euch zu wenden. Ich möchte Euch nun bitten, von Euch aufgenommen zu werden. Natürlich weiß ich, daß mein Volk Euch immer schlecht behandelt hat und ich selbst Gewalttaten begangen habe. Deswegen will ich hier und heute vor dem Erdbaum schwören, niemals Euch oder den Euren gegenüber Gewalt anzuwenden. Bitte, laßt mich bei Euch bleiben, denn ich habe kein Volk und kein Heim mehr. Seit Wochen lebe ich nun schon beim Geistbaum-Klan und empfinde mittlerweile die größte Hochachtung vor Euch und Eurer Art. Und was ich heute nacht hier sehen und
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