Sternendieb - Roman
Exklusivität wertlos.
Gerüchte, ein entscheidender Bestandteil von FMT-Behandlungen seien Drüsen, die von nichtsahnenden Spendern aus der Dritten Welt stammten, mögen Teil einer heimtückischen Publicity gewesen sein oder von einer nicht minder heimtückischen Konkurrenz gestammt haben oder schlicht und ergreifend wahr gewesen sein. Jedenfalls wurden sie weder bestätigt noch widerlegt, denn zu diesem Zeitpunkt zog FMT bereits die Aufmerksamkeit
der endokrinen Barone von Abraxas auf sich, und die ganze Geschichte schaltete gleichsam in einen höheren Gang.
Der Tempel von Abraxas hatte es nicht nötig, Reklame zu machen, Mitglieder zu werben oder die Unterprivilegierten auszubeuten. Der Tempel verlangte einfach nur Opfer - und seine Anhänger, wie das bei Anhängern so ist, strömten zusammen, um sich demütig an den duftenden Altären niederzulassen. Nichtsdestoweniger zogen die Tempelpriester angesichts von FMT keine rechte Befriedigung mehr daraus, sich an den Sekreten der Getreuen zu mästen.
Beide Lager hatten den Eindruck, voneinander profitieren zu können. Man tauschte Botschaften aus. Wenn man den Wohlhabenden und Leichtgläubigen bislang die leibliche Optimierung beziehungsweise das Wohlwollen einer antiken Gottheit versprochen hatte, so war es jetzt nur noch ein kleiner Schritt bis zum Versprechen grenzenloser physischer Vollkommenheit. Sich geschickt mit unter den Schirm von Wohltätigkeit, Steuerbefreiung und gesetzlichem Sonderstatus stellend, den diese orbitale Kirche aufspannte, löste sich FMT scheinbar in nichts auf, und der Tempel von Abraxas ging durch eine Metamorphose hindurch, an deren Ende eine neue Lebensform stand: die Seraphim.
Und ab hier verläuft die historische Entwicklung im Dunkeln. Derweil Wirtschaftsauguren und Medientheologen die weltliche und spirituelle Bedeutung dieser Fusion dabattierten und die Asse unter den Bioarchitekten und Eugenikern je nach Bedarf und unter äußerster Diskretion mit erstaunlichen, um nicht zu sagen abscheulichen Versprechen in den Orbit gelockt wurden, blieben die Tore des Tempels für die Augen der Ungläubigen fest verschlossen. Es gab keine Statements und keine Kommuniqués. Abraxa prosperierte auf dem Kapitalmarkt, aber die Seraphim wurden totgeschwiegen.
Auch war nicht ersichtlich, ob Capella sich einmischte.
Wenig ist seitdem durchgesickert. In der ersten Zeit verhinderte das assenrecycling der Getreuen, dass es zu dem üblichen Rinnsal von Abtrünnigen kam, die Sensationsgeschichten im Gepäck hatten. Von dem Putsch, in dem die Kurie von Abraxas und die meisten Mitglieder des früheren FMT-Aufsichtsrates von einem Seraphischen Kader geschluckt wurden, der hauptsächlich aus Inkarnationen von Kajsa Tobleroni bestand, davon wissen wir nur durch den Blitzüberfall eines Hackerkommandos des Senders Shu-Jin-Weltblick; die Mitglieder dieser Truppe blieben verschollen. Abraxas und FMT schufen die Seraphim, und die Seraphim schufen die Cherubim, die Raumgeborenen, den homo alterior , die Delfine des Weltraums.
Jeder weiß, wie ein Cherub aussieht, obwohl er schwerlich damit rechnen kann, jemals einen zu Gesicht zu bekommen. Metallisch schwarz, mit kirschroten Augen, großköpfig, manche länger als ein Meter, haarlos, beinlos, geschlechtslos, hierhin und dorthin sausend in der Schwerelosigkeit oder auf ihren kleinen Untertassen der Schwere trotzend, könnten sie durchaus Kinddämonen sein, die der Vorstellungswelt besonders hysterischer Handlanger der Spanischen Inquisition entsprungen sind. Auf dem Leib tragen sie nichts als den transparenten Plastikanzug, doch aufgrund der Lichtbrechung in den optischen Mikroschaltungen des Materials umspielt sie ein ständig wechselnder Reigen aus kleinen Regenbogen. Wenn sie die Anzugkapuze über den Kopf ziehen, können sie sich erstaunlich lange im freien Raum aufhalten. Dichte Gravitation ist nicht ihr Fall, und die meisten verschmähen die Planeten. Da sie von Hause aus artifizielle Wesen sind, kommen die Cherubim auch mit den kniffligsten elektronischen Problemen zurecht. Sie können ein ganzes Sortiment von prothetischen Fortsätzen in die Basis ihrer Wirbelsäule stecken
und damit eine stattliche Anzahl von Werkzeugen und Geräten manipulieren.
Ein solches Geschöpf also machte Tabea ihren angestammten Platz vor der Steuerkonsole ihres Schiffes streitig, als dieses sich mit einem schonungslosen Kraftakt und gegen alle Regularien verstoßend von Plenty absetzte.
Sie starrte das Geschöpf von der
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