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Sternendieb - Roman

Titel: Sternendieb - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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wirkte, erschien hier robust und kraftvoll.
    Mit der gebotenen Zurückhaltung würde ich es sogar wagen, sie mit den Töchtern und Söhnen der Seraphim zu vergleichen, also zum Beispiel mit Xtaska. Beinlos, wie sie sind, bedürfen sie bei der geringsten Gravitationsverdichtung einer permanenten Unterstützung. Liegen sie einmal, kommen sie von alleine nicht mehr hoch. Kahl und nackt, wie sie unter ihren transparenten Schutzanzügen sind, erscheinen sie mehr als verwundbar. Doch im freien Raum bewegen sie sich wie Delfine im Wasser. Die Haut unter den schillernden Energiefeldern ihrer Schutzanzüge spiegelt all die himmlischen Gefilde ringsum. Wenn sie durch den Raum pflügen, rinnt ihnen dabei das Sternenlicht wie Wasser vom Rücken.
    Eines Tages, so glaubten Tabea Jute und die meisten ihrer Zeitgenossen, würden sich die Cherubim die Barriere, die die Capellaner um das Sonnensystem gelegt hatten, nicht mehr bieten lassen. In der Tat unterstellten einige, dass die Capellaner nur auf diesen Moment warteten, gerade so wie sie Bruder Ambrosius zum Mond geschickt hatten, wo er auf Armstrong und Aldrin gewartet hatte. Sie wollten eben, dass die Initiative von den Menschen ausging.

    Tabea Jute und die meisten ihrer Zeitgenossen hatten aber ihre Zweifel, ob es sich bei den Cherubim tatsächlich noch um Menschen handelte.
    Die Cherubim selbst waren sich dagegen absolut sicher, dass sie keine mehr waren. Ihr genetischer Entwurf ging sozusagen einen Quantensprung weit über das hinaus, was Genlaboratorien bislang zusammengeschustert hatten. Sie litten nicht unter den physischen Beschränkungen, die der Mensch von Planet zu Planet mit sich herumschleppte; und wenn es denn solche gab, dann würden sie sie bald ablegen, nämlich schon in der nächsten Generation. So lehrten es die Seraphim, die Genarchitekten der Cherubim, die ihnen diese Fähigkeit in das Keimplasma geschrieben hatten.
    Unter seinesgleichen schien Xtaska so etwas wie eine Ausnahme zu sein. Wie Hannah Su zu dem Cherub kam, das lässt unsere Geschichte offen, aber wie dem auch sei, sie tat gut daran, ihn zu engagieren, und wenn auch nur wegen seines Seltenheitswerts. Wie seine Retortenverwandtschaft dazu stand, dass er sich der öffentlichen Belustigung feilbot, und das in einem Ausmaß, das frühere Jahrhunderte exotisch oder grotesk genannt hätten - auch das kann man nur mutmaßen. Xtaska hat nie etwas gegen seine Artgenossen gesagt. Auch nicht gegen die Seraphim.
    Wer sind die Seraphim? Oder anders gefragt, gibt es ein Wort für das, was sie sind? Sie sind eine Organisation, ein Kult, ein unabhängiger Staat - die Seraphim sind so kühn und so selbstbewusst, einfach nur sie selbst zu sein. Ihr Ursprung ist belegt und in der neunzehn Jahre zurückliegenden Fusion des pervertierten Tempels von Abraxas mit Franz-Maisang-Tobleroni, einem diskreditierten Haus für chirurgische Software, zu suchen.
    Nachdem Franz-Maisang-Tobleroni mehr als ein Vermögen damit gemacht hatte, die Tabus und Ressentiments gegen kosmetische
Amputationen und einfache Modeprothesen abzubauen und beides gewinnbringend miteinander zu koppeln, schien das Softwarehaus an einer düsteren Wolke aus polizeilichen Untersuchungen und Gerichtsprozessen zu ersticken, bis es plötzlich mit einem messianischen, prophetischen und elitären Anspruch einen neuen, jähen Aufschwung erlebte. Kajsa Tobleroni (deren legale Identität in Frage gestellt war, nachdem sie sich einem Programm selektiver Ex- und Implantationen unterzogen hatte, sodass sich ihre Person sozusagen in zwei Körpern befand, der eine in Neu-Zürich und der andere in Hongkong) hatte, einem raffinierten Marketingtipp folgend, das Prinzip der »autoplastischen Transzendenz« in den Mittelpunkt ihrer neuen Chirurgie gerückt. WARUM DIE MEINUNG ÄNDERN? ÄNDERN SIE IHREN KÖRPER!, lautet das Motto in einer der wenigen noch existierenden Broschüren aus einem frühen Stadium der neuen Kampagne.
    Franz-Maisang-Tobleronis Prospekte häuften sich in jeder besseren Bar und in jeder Wartehalle. Die elektronischen Anzeigetafeln waren durchsetzt mit FMT-Propaganda. Überall, wo sich die Rastlosen und Unzufriedenen sammelten, war FMT mit seiner Botschaft schon gegenwärtig. Dabei konnten sich nur die Reichsten der Reichen etwas aus der FMT-Palette leisten. Die Strategie, allen den Mund wässrig zu machen, war integraler Bestandteil des neuen Images, war gleichsam die Sprungschanze für den Höhenflug des Unternehmens. Ohne ein neidisches Umfeld ist

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