Sternenfaust - 046 - Exodus der Mantiden
Nieren überprüft worden war, hatte ihn eines Abends überraschend der Leiter des Schulungs-Konvents, Bruder Gebbert, zu sich gerufen. Neben dem Besucherstuhl stand ein fertig gepackter Koffer, über die Lehne hing die Zivilkleidung, mit der William das Ordenshaus betreten hatte.
»Hier ist ein Freiflug mit unbegrenzter Kilometerzahl«, sagte Bruder Gebbert und schob einen Briefumschlag über den Schreibtisch. »Außerdem befindet sich eine Kreditkarte mit einem Limit von zehntausend Solar in dem Umschlag. Du bist frei! Du kannst gehen, wohin du willst und tun, was du willst. Es gibt nur zwei Einschränkungen. Erstens, du musst sofort und unverzüglich nach unserem Gespräch den Konvent verlassen und …«
»Je… jetzt, noch …? Heute Abend?«, stammelte William verwirrt.
»Jawohl, noch heute Abend«, antwortete Bruder Gebbert. »Und die zweite Bedingung ist, dass du nicht wiederkommst.«
»Wie … bitte?« Entsetzen hatte das Gesicht des jungen Novizen bleich werden lassen. Bruder Gebbert blickte ihn nachdenklich an.
»Jedenfalls frühestens in neun Monaten. Kommst du nur einen Tag früher … nun …« Er ließ die drohend angedeutete Konsequenz einen Moment offen. Sprach dann aber doch aus, was William im gleichen Augenblick bereits ahnte. »Dann bleibt dieses Haus für dich verschlossen und zwar für immer!« Bruder Gebbert starrte auf seine Finger und William folgte diesem Blick. Zu seinem Erstaunen sah er, dass sich schwarze Ränder unter den Nägeln abzeichneten, als hätte er eben noch in der Erde gewühlt. William erinnerte sich an das große Gewächshaus im Garten hinter dem Ordenshaus und daran, dass bei seiner Ankunft im Konvent Bruder Gebbert nach einer kurzen Begrüßung der Novizen mit raschen Schritten dorthin verschwunden war. Damals hatte er die gärtnerische Leidenschaft des Leiters sympathisch gefunden. Jetzt wusste er nicht mehr, was er davon halten sollte.
»Ich weiß, zehntausend Solar sind für verwöhnte Leute eine Summe, die sie in einem Monat verbrauchen. Aber andere, die vor dir den gleichen Weg durch diese Tür da gegangen sind …« Er zeigte mit seinem dicken Finger auf die Bürotür. »Haben sogar wieder etwas mitgebracht. Aber darum geht es nicht, die Flugkarte und das Geld sind nur Symbole. Wenn du mehr benötigst, besorg es dir. Wo, wie, bei wem, das ist uns egal. Natürlich würden wir es nicht gutheißen, wenn du deshalb zum Verbrecher wirst …«
»Was … was soll ich … da draußen tun?«, fragte William, dem immer noch die Überraschung ins Gesicht geschrieben stand.
»Woher soll ich das wissen?«, blaffte Bruder Gebbert heftig zurück. »Ich bin schließlich nicht du!«
»Und … wenn, wenn … ich mich weigere?« William tat so, als habe er die aufbrausende Antwort gar nicht gehört.
»Auch egal«, sagte Gebbert ausdruckslos. »Du wirst uns in jedem Fall heute Abend verlassen. Nur wirst du in diesem Fall auch in neun Monaten nicht mehr zu den Christophorern zurückkommen können …«
»Ah … ja.« William nickte. Allmählich begann er zu begreifen. »Wo soll ich mich umziehen, hier?«
»Natürlich nicht. Draußen«, bellte Bruder Gebbert.
»Gut … gut«, sagte William. »Dann … dann … auf Wiedersehen.«
William schnappte sich seine Sachen und huschte aus dem Büro. Als er gerade die Tür hinter sich schließen wollte, hörte er noch einmal Bruder Gebbert rufen: »Hey! Du hast den Umschlag vergessen!«
»Brauche ich nicht, trotzdem danke.«
William hatte sich als Erstes einen Job gesucht und rasch eine Arbeit in einem Lebensmittellager gefunden. Ein Kollege vermietete ihm ein billiges Dachzimmer. In seiner Freizeit tat er das, was er schon während seiner Schuljahre gerne getan hatte. Er trieb sich in Museen und Bibliotheken herum, studierte alte Kulturen, sowie lebendige und tote Sprachen.
Als fast sechs Monate vorbei waren, hatte William endlich so viel Geld zusammen, um sich eine Economy Passage zum Mars leisten zu können. Er hatte von Ann Gifford gehört, die sehr umstrittene, aber auch sehr erfolgreiche Kurse anbot, die Titel trugen wie »Vergiss Gott, um ihn zu finden« oder »Erkenntnis und Erleuchtung – zwei verschiedene Stiefel, aber keiner passt«.
Die weise, alte Dame hatte sich vor mehr als zehn Jahren in ein abgelegenes, kuppelüberwölbtes Tal zurückgezogen, das auf herkömmlichem Weg von den Marssiedlungen und den unterirdischen Städten nicht erreichbar war. Der Versorgungstunnel, der Ursprünglich einmal existiert hatte, war,
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