Sternenfaust - 069 - In Ketten
Diese Zweifel hatten bereits an ihr genagt, als sie sich auf dem Rückweg durch das Höhlensystem befand. Einen Weg, den sie ohne Hilfsmittel nicht hätte bewerkstelligen können.
Abwärts war sie durch einen schmalen, unten glatten und oben mit scharfen Stalaktiten versehenen Schlauch gerutscht. Aufwärts ging es nur mit Hilfe des Antigrav-Aggregats, das sie mit äußerstem Fingerspitzengefühl bedienen musste, wobei sie sich kopfunter auf den Rücken in die Schräge legte und dann mit den Füßen voran nach oben glitt. Eine Hand an der Steuerung, den anderen Arm abwehrend nach oben gestreckt, um sich immer dann von den scharfkantigen Tropfsteinen abzustoßen, wenn sie ihnen zu nahekam. Seng begleitete sie ein stückweit nach oben, wobei er sich mit seinen Auswüchsen an den Stalaktiten festklammerte und sehr schnell und geschickt nach oben zog.
Als sie schließlich den Eingangsbereich der Höhle erreichte, wurde sie bereits von Bruder William erwartet. Der Wloom war unterwegs in einem Spalt verschwunden. Die Bilder, die sie in Sengs Werkstatt mit Hilfe der in ihren Anzug integrierten Kameras von den außergewöhnlichen Wurzelbüchern gemacht hatte, sorgten nicht nur zwischen ihr und dem Christophorer für ausgiebigen Gesprächsstoff, sondern auch unter den anderen Teilnehmern der Expedition.
»Gut möglich«, sagte William, als er die Aufnahmen das erste Mal genauer betrachtete, »dass es sich bei der verborgenen Bibliothek der Wloom tatsächlich um so etwas wie ein Backup-System der Toten Götter handelt.«
»Wenn dem so ist«, erwiderte Dana nachdenklich, »dann könnten wir hier endlich am Ziel unserer langen Suche sein.« Dass es sich um eine Art Sicherheitskopie des Wissens jener geheimnisvollen Wesen handeln könnte, erschien ihr nicht gerade abwegig. Sie wusste, dass Bruder William gemäß den Richtlinien seines Ordens mit seinen eigenen Aufzeichnungen in regelmäßigen Abständen ähnlich verfuhr. Er hatte ihr vor längerer Zeit anvertraut, dass von seinen Aufzeichnungen regelmäßig Ausdrucke auf einem besonders haltbaren Material gemacht wurden.
»Früher schrieben die Mönche auf Pergament, dann auf qualitativ hochwertigem Papier«, hatte er erklärt. »Mit allen für besonders bedeutend und wichtig erachteten Aufzeichnungen praktizieren wir heute ein ähnliches Verfahren. Es macht uns unabhängig von Datenträgern und elektronischen Speichermedien, da wir alle wissen, wie anfällig solche Medien unter bestimmten Umständen sind …«
Es war durchaus denkbar, dass die Toten Götter ähnliche Motive hatten, als sie eines ihrer zahlreichen Hilfsvölker mit der Archivierung ihres Wissens beauftragten.
»Eigentlich liegt es nahe, dass die Wloom nur eines der Völker waren, das einen solchen Auftrag erhielt«, überlegte Dana laut. »Vielleicht gibt es noch weitere verborgene Bibliotheken.«
»Vielleicht – vielleicht auch nicht. Möglicherweise sind die Bücher der Wloom auch die einzigen Wissensspeicher, die die Zeit überdauert haben«, sagte der Christophorer.
William hat recht , dachte sie. Dies hier ist eine einmalige Chance, ein paar der Geheimnisse zu lüften und einige der Rätsel zu lösen …
Umso nervöser wurde sie, als Seng sich tagelang nicht mehr blicken ließ. Hinzu kam, dass niemand aus der Expedition genau wusste, ob sich noch weitere Nachzügler der Morax im System verborgen hielten, weshalb sie ständig mit Angriffen und Überfällen rechnen mussten. Trotz der Wartezeit verbrachten sie diese Tage deshalb keinesfalls untätig. Immer weiter dehnten sie die Radien ihrer Erkundungsflüge aus, um weitere versteckte Morax aufzuspüren. Allerdings ohne Erfolg.
»Vielleicht ist Seng erst jetzt dazu gekommen zu überprüfen, ob die verborgene Bibliothek überhaupt noch intakt ist«, vermutete Stephan van Deyk während eines ihrer Gespräche per Bergstromfunk. »Schließlich haben die Morax überall auf seiner Welt gewütet, als wäre es darum gegangen, den ganzen Planeten zu sprengen …« Sie verstand, was ihr der Erste Offizier damit sagen wollte.
Übe dich in Geduld! Und vor allem sollte sie davon ausgehen, dass entgegen Sengs früherer Aussage doch Teile der Büchersammlung zerstört seien. Darüber allerdings mochte sie nicht weiter nachdenken.
*
Alle diese Bedenken wurden mit einem Schlag beiseitegefegt, als Seng schließlich wieder aus den Tiefen des Höhlensystems auftauchte und ihnen mitteilte, dass sie ihm zum Ufer des Seichten Meeres folgen sollten.
Die
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