Sternenfaust - 113 - Abgrund des Geistes
stürmte hinein. Emma wandte den Kopf, kurzzeitig überrascht von dem Neuankömmling – und genau diesen Moment nutzte Kirchhoff aus. Mit einem gewagten Sprung hechtete die Medizinerin auf sie zu und riss sie von den Füßen. Emma verlor den Halt und kippte nach hinten über, mitgezerrt von der Wucht der Krankenschwester.
*
Theodore McAllister glaubte seinen Augen nicht. Starr vor Überraschung stand er im Türrahmen des Krankenzimmers und beobachtete das Schauspiel, das sich ihm bot. Er sah Kalani, den Laser fest umklammert, an deren Kopf sich eine kleine und sehr stark blutende Wunde gebildet hatte. Und er sah Chrissie, die plötzlich lossprintete, der Patientin das Gerät aus der Hand schlug und mit ihr zu Boden ging. All das dauerte Millisekunden, doch dem Chefarzt kamen sie wie eine Ewigkeit vor. Wie ein grauenvolles, endloses Standbild.
Chrissies Stimme riss ihn aus seiner Lähmung. »Schnell«, rief sie ihrem Vorgesetzten zu, der immer noch regungslos in der Tür stand. »Wir brauchen etwas, um die Blutung zu stoppen.«
Endlich kam Leben in seinen Geist. Theodore schüttelte den Kopf, fassungslos über sich selbst, dann rannte er zu Kirchhoff, kniete neben ihr nieder und begann damit, Emma Kalanis Wunde zu verbinden. »Was ist geschehen?«, fragte er, und es klang sachlicher, als er sich fühlte.
»Ich vermute einen Anfall von Paranoia«, berichtete Chrissie prompt. »Sie hat immer wieder von Bildern und Stimmen gemurmelt, die in ihrem Kopf seien. Wahrscheinlich war ihr selbst gar nicht bewusst, dass sie das alles laut sagte.«
McAllister runzelte die Stirn. »Paranoia? Aber ihre Krankenakte verzeichnet keinerlei Indizien, die für eine derartige Erkrankung …«
Er brach ab, blickte auf die ohnmächtig vor ihm liegende Pilotin des Star Corps, und begriff. »Das war das Medikament.«
Kirchhoff nickte. »Würde ich auch vermuten, Doktor. Wenn ich richtig informiert bin, handelt es sich um eine experimentelle Behandlungsmethode.«
»Und das Experiment ist fehl geschlagen«, ergänzte er knurrend. Selten zuvor hatte der 53-Jährige sich so frustriert gefühlt, wie in diesem Augenblick.
Es dauerte nur wenige Minuten, die Wunde der jungen Pilotin zu versorgen. Gemeinsam hievten sie Kalani wieder ins Bett und Theodore ordnete an, bis auf weiteres einen Wächter vor ihrem Zimmer zu postieren, der bei einer Wiederholung dieses Geschehens schnell eingreifen konnte. Zwar glaubte er nicht, dass sich eine weitere Situation dieser Art einstellen würde – immerhin hatte er Kremers Medikament sofort abgesetzt –, aber sicher war immer noch sicher. Es war knapp gewesen, zu knapp, und McAllister hatte nicht vor, seiner jungen Patientin eine weitere Chance zur Selbstzerstörung zu gewähren.
Äußerlich ging der Chefarzt des St.-Garran-Hospitals allen erforderlichen Maßnahmen besonnen und präzise nach, aber hinter seiner professionellen Fassade kochte er vor Zorn. Was hatte Kremer ihnen da nur geschickt? Ein Mittel, das kränker machte? Theodore hatte geglaubt, mit der Akte Kalani Geschichte schreiben zu können. Stattdessen schien er sich treudoof an einer Aktion zu beteiligen, die gegen alles sprach, wofür der hippokratische Eid stand.
Als er schließlich allein in seinem Büro vor der Kom-Konsole saß, wiederholte er diesen letzten Gedanken laut. Und er sah voller Genugtuung, wie Dr. Kremer auf dem Display vor ihm leicht zusammenzuckte.
»Ich versichere Ihnen, dass wir nur beste Absichten verfolgen«, sagte der Neuropsychologe der STERNENFAUST sichtlich getroffen und beunruhigt. »Das ist doch selbstverständlich, Doktor. Eine Reaktion, wie Sie sie mir schildern, haben weder Dr. Tregarde noch ich vorhergesehen. Sie war nach den ersten Testreihen in keiner Weise zu erwarten.«
McAllister kniff die Augen zusammen und massierte sich den Nasenrücken. »Die Behandlung mit dem modifizierten CC-4400 hatte offenbar genau den gegenteiligen Effekt«, sagte er und seufzte leise. »Anstatt Lieutenant Kalanis telepathische Gabe zu unterdrücken, hat sie sie gefördert. Eine Möglichkeit wäre, dass sich der Stoff ansammelt. Oder dass der Körper eine Resistenz entwickelt. Ich lasse gerade einen Scan anfertigen, der uns genauere Auskunft über den aktuellen Zustand des Gehirns der Patientin geben wird. Die Spiegelneuronen und …«
Es klopfte an der Tür des Büros und ein Pfleger betrat den Raum. Ohne ein weiteres Wort nahm McAllister die Akte entgegen, die der Mann ihm reichte, nickte dankbar und deutete
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