Sternenfaust - 113 - Abgrund des Geistes
ihm, wieder zu gehen.
»Und hier sind schon die Werte«, sagte der Chefarzt zu Kremer, als sie wieder unter sich waren, öffnete die Akte und studierte die darin enthaltenen Untersuchungsergebnisse. Kremer schwieg geduldig, während der Kollege las. »Wie ich vermutet habe«, meldete sich McAllister schließlich wieder zu Wort. »Spiegelneuronen, Neurotransmitter … Alle Werte sind um ein Vielfaches gestiegen. Um ehrlich zu sein, habe ich etwas derartiges noch nie gesehen, nicht einmal in der Forschungsliteratur. Es grenzt schon an ein Wunder, dass Miss Kalani dieses Ereignis ohne Folgeschäden überstanden hat.«
»Ist dem so?«, fragte Kremer.
McAllister nickte. »Ich bin selbst überrascht. Zumindest das Sprachzentrum ihres Gehirnes sollte eigentlich irreparabel beeinträchtigt sein, aber unsere Untersuchungen zeigen das Gegenteil. Verlangen Sie bloß keine Erklärung von mir, ich stehe vor einem medizinischen Rätsel.«
Kremer atmete hörbar aus. »In Ordnung, Doktor. Wie es scheint, hatte sie großes Glück. Und wir ebenso. Ich möchte Sie bitten, mir die Untersuchungsergebnisse zukommen zu lassen, damit wir sie hier auf der STERNENFAUST auswerten können. Ich vermute, dass wir die von Ihnen beschriebenen Symptome durch eine Veränderung in der Dosierung der Medikamente unterbinden und die von uns gewünschte Behandlung fortsetzen können. Aber bevor ich Ihnen entsprechende Anweisungen geben kann, möchte ich hier einige Tests durchführen.«
»Verstanden, Dr. Kremer«, sagte Theodore. Mit nichts anderem hatte er gerechnet. »Damit ist unser Gespräch für den Moment wohl beendet. Ich erwarte Ihre Rückmeldung, sobald die Auswertungen Ihrer Tests vorliegen.«
Der Mediziner wollte die Verbindung gerade unterbrechen, als Kremer sich wieder zu Wort meldete. »Moment, eins noch, Herr Kollege. Grüßen Sie Lieutenant Kalani bitte von mir.«
»Sind Sie sicher, dass Sie das wirklich wollen?«, erwiderte McAllister und schenkte dem Neuropsychologen der STERNENFAUST einen Blick, der mehr sagte als tausend Worte.
*
William Beaufort verstand, warum die Entitäten seinen Mitbrüdern einst wie Götter vorgekommen waren: Sie konnten nahezu alles. Ihr Geist war in der Lage, Materie nach ihrem Willen zu formen. Ihr Verstand begriff Zustände und Gegebenheiten, die das menschliche Denken um ein Vieltausendfaches überforderten. Und ihre Weisheit war schier grenzenlos. Letzteres war für William Grund genug, sich abermals auf die Suche nach einem Vertreter dieser mysteriösen Spezies zu machen.
Er suchte Antworten, und wer wäre besser geeignet, ihm einen Weg aus seinen Fragen zu weisen, als ein Wesen, welches das gesamte Universum verstand?
Schweiß tropfte von seiner Stirn, als William sich mit geübtem Schwung auf einen Felsvorsprung zog und dort Halt machte. Sein Atem ging rasselnd und helle Punkte tanzten vor seinen Augen – sichere Anzeichen der Überanstrengung. Und ein konstanter Beweis für die dünne Atmosphäre, die in dieser Höhe herrschte. Kein Wunder, dass so viele Siedler von Sirius III diese Gegend mieden. Sie war menschlichem Leben nicht gerade zuträglich.
William lehnte sich mit dem Rücken an den schroffen Fels und ließ sich langsam in die Hocke gleiten. Dann nahm er ganz auf dem steinernen Untergrund Platz. Das kleine Plateau, auf dem er sich befand, war vielleicht drei Quadratmeter groß. Wenige Zentimeter vor seinen Füßen begann der Abgrund, und doch war William ganz ruhig. Er wusste, dass er eine kleine Rast brauchte, wenn er weiterklettern wollte. Und er würde sie sich gönnen. Sicher war sicher.
Außerdem kannte er sich in dieser Gegend aus. Nicht umsonst hatte er den Pilgerpfad all die Jahre benutzt. Wie damals, suchte er auch heute nach dem Rat der Entitäten. Und wie damals, hoffte er auch heute darauf, einer zu begegnen und sein Anliegen vorbringen zu können. Daniel Leslies Ratschläge in allen Ehren, doch bei dieser Sache brauchte William mehr als nur gut gemeinte Worte und ein aufmunterndes Schulterklopfen. Er brauchte Antworten. Er musste wissen, wie er sich verhalten sollte.
Wie ich aus meinem Schneckenhaus rauskommen kann, ohne mich selbst zu verlieren , dachte er und gähnte herzhaft, während der kühle Höhenwind den Schweiß auf seinem Gesicht trocknete. Wie ich mich meinen Ängsten und Erinnerungen stellen kann, ohne daran Schaden zu nehmen. Ich muss lernen, den Nutzen in dem zu erkennen, was mir damals widerfahren ist.
»Aber wie kann ich das, wenn mir schon
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