Sternenfaust - 139 - Jagd auf Nickie Berger
sammelte, schießen nahezu aus seinem Geist heraus und erstrecken sich über das wolkenfreie Firmament. Sein ganzes Wesen, sein Denken, Empfinden und Wissen strömt mit einem Mal durch diese Fühler – und die Erinnerung an Nickie Berger. Wie ein Fußabdruck im Schnee liegt sie in seinen Gedanken, fest umrissen und tief.
Wo ist sie? Wo versteckt sie sich? Welcher der Punkte führt zu ihr?
Das Blip, blip der Konsole wird zum Pochen seines Herzens, das Summen der Triebwerke zum konstanten Strom der Atemluft, die in ihn und aus ihm in die Welt strömt. Die Welt, in der sich eine Rebellin seinem Zugriff zu entziehen versucht. Abermals.
Izanagi Narada entspannt sich.
Und sucht.
Es ist ihr schon einmal nicht gelungen, sich zu verstecken.
*
»Puls bei einhundertsechzig und steigend.« Templeton Pecks Stimme klang besorgt und anklagend zugleich. »Langsam wird’s ungemütlich.«
»Mir gefällt das so wenig wie Ihnen, Marine«, erwiderte Shamar al Khaled. »Aber es ist unsere letzte Chance. Wenn Narada es nicht schafft, haben wir Berger verloren.«
Peck grunzte frustriert, und Izanagi lächelte. »Mehr«, murmelte der Ex-Christophorer, ohne die Augen zu öffnen und seine Konzentration aufzugeben. »Es reicht noch nicht. Spritzen Sie mir noch eine Dosis.«
*
Wie gut das tut.
Die Welt ist Energie, ist mentale Kraft, ist ein Gefühl. Er ist überall zugleich. Spürt Bewusstseine, Identitäten, Lebenswege. Sie schälen sich vor seinem geistigen Auge aus der Schwärze und erzählen ihm ihre Geschichten in Bildern, die so intensiv und detailreich sind, als habe er sie selbst miterlebt. Izanagi ist dieser Brötchenverkäufer in Amsterdam , ist diese Grafikerin aus Brügge; er selbst liegt im Bett neben dem gut aussehenden Skandinavier, der doch eigentlich nur nach dem Weg fragen wollte; er selbst hilft der alten Madame Curdin aus dem zweiten Stock mit ihren schweren Einkaufstaschen die Treppe ihres Lyoner Mietshauses hinauf .
Ein fantastisches Gefühl. Euphorie, so rein wie ein Bergfluss direkt an der Quelle.
Wissen. Kontrolle. Macht!
Berger, ruft er sich zur Ordnung, als die Eindrücke ihn mitzureißen drohen . Bleib bei Berger. Du bist nicht zum Stöbern hier, sondern zum Finden.
Und die Suche nach der Nadel im Heuhaufen geht weiter.
*
»Noch mehr.«
Obwohl Peck direkt neben ihm kniete, klang seine Stimme dieses Mal, als käme sie aus weiter Ferne. »Auf keinen Fall. Narada, Ihr Puls steht bei 190! Von Ihrem Blutdruck will ich gar nicht reden. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich Sie in ein Krankenhaus verfrachten – aber ich werde Ihnen unter keinen Umständen eine dritte Dosis von diesem Teufelszeug verabreichen, hören Sie? Vergessen Sie’s.«
Izanagi spürte seine Nasenlider flattern. Spürte den Zorn und die Sorge in Peck. Die Hitze in den Wangen des Marines.
Und er spürte Shamar al Khaled.
Und er wusste, dass er bekommen würde, wonach er verlangte.
»Noch mehr«, wiederholte er. Kaum mehr als ein Flüstern.
*
Er ist ein Wind, tosend und schrankenlos.
Das Land ist kein Hindernis für ihn, denn er nimmt sich, was er braucht. Reißt nieder, was immer ihm im Weg steht. Ist überall und nirgends zugleich.
Und er sieht. Hört. Riecht. Schmeckt.
»Puls bei zweihundert!« Peck. Eine Stimme, die sich überschlägt vor Sorge. Izanagi, der Wind, ignoriert sie. Wer ist schon Peck? Was weiß der schon? Unwichtig.
Was zählt, ist die Energie. Der Antrieb, der ihn über Land und Leute gleiten lässt. Sein Geist ein Ozean, weit und geheimnisvoll. Tief.
Macht! Oh, bei allem im Universum. Oh, diese Macht! Wie wundervoll!
Alles ein Rausch. Alles ein Karussell der Eindrücke und Empfindungen, das vor seinem geistigen Auge seine Kreise dreht, rund und rund und rund und rund. Nie stoppend. Nie bremsend.
Mächtig.
Noch mehr, denkt er über das Tosen und Rauschen hinweg, und er hört, wie irgendwo in weiter Ferne irgendjemandes Mund diese zwei Worte ausspricht, aber das kümmert ihn nicht. Kann es etwa mit dem hier konkurrieren – mit der Faszination, die von Milliarden von Lebewesen ausgeht, die sich ihm gleichzeitig und grenzenlos offenbaren?
Im Irgendwo protestiert jemand.
Im Irgendwo berührt abermals eine Nadel eine schmerzende Armbeuge.
Im Irgendwo hat jemand Schuldgefühle, die größer sind als der Mount Everest.
Hier jedoch fliegt der Wind namens Izanagi noch höher, noch schneller, noch stärker.
Er fliegt …
»Puls bei zweihundertfünfzig! Commander,
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