Sternenfaust - 150 - Das Auge des Universums
Auge sieht alles. Auch die Zeit. Daher hast du nur eine Wahl: Lebe mit Yngvar im Auge, oder sterbe.«
Das Mädchen ging auf den transparenten Stahl zu.
»Warte! Wir müssen weiterreden!« Dana griff nach der Schulter des Kindes, doch ihre Hand fuhr ins Leere. Offenbar war diese Entität tatsächlich entstofflicht, wie sie es gesagt hatte.
Das Mädchen verschwand in der Außenhülle. Es sah aus, als würde sie direkt in den Weltraum spazieren. Alles, was von ihr blieb, war ein türkisblaues Leuchten in der Schwärze des Alls, das immer kleiner wurde. Nachdenklich blickte Dana dem Phänomen hinterher.
Die Mentoren waren einst das Volk gewesen, das noch immer hochtrabend als »Tote Götter« bezeichnet wurde. Wie bereits von einigen Wissenschaftlern vermutet worden war, hatten diese »Götter« mit ihrer eigenen Spezies im Krieg gelegen. Mentoren gegen Wissensvernichter. Was vor Äonen von Jahren seinen Anfang genommen hatte, wirkte bis in die Gegenwart nach und gefährdete die Existenzen der Sternenvölker.
Andererseits war es den Menschen gelungen, die Orphanen zu besiegen. Eine Gefahr, vor der einst die »Toten Götter«, selbst geflohen waren. Das bewies doch: Für jedes Problem gab es eine Lösung. Und auch diese andere Gefahr – diese große Leere – konnte daher verhindert werden.
»Dana?« Yngvars Stimme klang vom Schott her. »Da steckst du. Ich habe dich gesucht. Warum bist du weggerannt? Geht es dir nicht gut?«
Sie drehte sich zu ihm um. Sein Anblick war schmerzhaft intensiv. »Was würdest du sagen, wenn ich dir erzähle, dass das türkisblaue Band eine Vereinigung entstofflichter Toter Götter ist, und wir beide die Einladung erhalten haben, an diesem Kollektiv teilzuhaben?«
Yngvar blieb stehen und legte den Kopf schief. »Du scherzt.«
»Nein.«
Ein Strahlen zeigte sich in Yngvars Augen. Dana war, als würde das Licht im Raum heller werden. »Wir könnten gemeinsam die Ewigkeit mit den vielleicht mächtigsten Wesen des Universums verbringen … Wir könnten lernen, Wissen erlangen und verstehen …«
»Wir würden die Menschheit im Stich lassen, denn wir könnten das Wissen vermutlich nicht mehr weitergeben.«
»In diesem Band liegt laut deiner Erzählung der ewige Friede. Das Paradies. Warum sollen wir diese Chance nicht nutzen? Ich bin nicht als Diener der Menschheit geboren, sondern als Yngvar MacShane.«
Dana zögerte. Sie wollte nie in der Entität aufgehen, und sie wollte auch nicht einem Kollektiv dieser Wesen beiwohnen und passiv zuschauen, was im Universum vor sich ging. Sie war ein Mensch der Tat und keine Wissenssammlerin wie Yngvar. Er konnte in diesem Band Erfüllung finden. Sie nicht. Aber war es besser, zu sterben? Würde ihr Tod nicht sinnlos sein? Ihre Hoffnung auf Heilung war zerschmettert worden. Warum sollte sie die Möglichkeit wegwerfen, gemeinsam mit Yngvar weiterzuexistieren? Es würde eine gute Existenz sein.
Yngvar trat auf sie zu. »Lass es uns tun. Lass uns im Band aufgehen und das Wissen teilen.«
Sie ließ zu, dass er sie in die Arme nahm. Dieses Mal waren es seine Lippen, die ihre fanden. Sie küssten und hielten einander. Dana genoss den Geruch, den nur er an sich hatte. Ihre Hände strichen über den geliebten Körper. Wie viel Schönes hatte sie mit ihm erlebt. Wie großartig war die gemeinsame Zeit gewesen. Ihr war, als würden sie gemeinsam am Strand von Mauritius stehen und dem Gesang von Wind und Wellen lauschen. Die Elemente sangen ein Lied über den Abschied. Ein Lied der Sehnsucht und der Trauer.
Sie löste sich von ihm, sein Gesicht in beiden Händen haltend. Sie sahen einander an. Seine Stimme war ein Flüstern.
»Deine Augen sind das Schönste und Traurigste, was ich je gesehen habe, Dana. Wie das ferne Eis eines Gletschers, verhangen von den Tränen, die du nicht weinst. Sag mir, was du denkst.«
»Ich würde gern ewig mit dir existieren, auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, was ewig bedeutet. Aber ich will den Preis nicht zahlen. Ich kenne die Entität und möchte nicht werden wie sie. Du weißt, wer ich bin. Es tut mir leid. Ich kann nicht mit dir kommen.«
Er strich über ihr schwarzes Haar. »Warum nicht, Dana?«
»Ich will lieber ein Mensch bleiben, als mein Menschsein aufzugeben. Wenn ich mich auflöse, werde ich meine Individualität verlieren und meinen Drang zu kämpfen, und das kann ich nicht. Lieber kämpfe ich bis zum Ende, als diesen Weg zu gehen.«
»Ich möchte gehen, Dana. Ich kann in meinen Gedanken den Ruf von
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