Sternenfaust - 181 - Flucht von der Erde
sein Magen wie ein leeres Loch war, konnte er sich in diesem Moment nicht vorstellen, etwas zu essen.
Esau hatte schon lange aufgegeben, seinen Vater zu fragen, wie es ihm ging. Er war intelligent genug, um zu erkennen, dass dies eine dumme Frage war. Überhaupt erschien ihm so ziemlich alles, was er seinen Vater fragen oder ihm sagen konnte, bereits im Voraus dumm.
Der Kastellan hatte einmal behauptet, Esau habe einen Intelligenzquotienten von 185. Wahrscheinlich lag es daran.
Dabei quälte Esau seit über einem Jahr ohnehin nur eine einzige Frage. Und bis heute hatte er darauf keine befriedigende Antwort erhalten.
Die Frage war, weshalb sich sein Vater nicht heilte, wenn er dazu doch in der Lage war.
»Heute ist ein besonderer Tag«, lächelte Esaus Vater, und Esau spürte, wie sich sein Magen verkrampfte. Seine Augen füllten sich mit Tränen, die er mühselig herunterschluckte. Seine Finger fühlten sich kalt an, und obwohl es hier im Haus viel wärmer war als draußen am Strand, fröstelte er immer mehr.
Zugleich spürte Esau, wie die Wut in ihm hochstieg. Zornig starrte er auf den Pancake auf seinem Teller.
»Ich weiß, wie du dich jetzt fühlst«, sagte Vater und goss mit zitternden Fingern einen dicken Strahl Ahornsirup über sein Essen.
Esau bezweifelte das. Wenn sein Vater wirklich gewusst hätte, wie er sich fühlte, dann würde er jetzt nicht so tun, als wäre dies ein schöner Tag. Dann würde er das Kästchen benutzen, um sich zu heilen. Dann würde er Esau nicht einfach so im Stich lassen.
»Mir erging es ähnlich, als mein Vater von mir ging.«
»Und gleich wirst du mir wohl sagen, dass es meinem Sohn eines Tages auch so ergehen wird«, antwortete Esau wütend.
Esaus Vater lächelte. »Diesmal nicht«, sagte er. »Diesmal endet die Kette bei mir.«
Esau verstand nicht. Aber das gehörte zu seiner Erziehung. Es war fast so etwas wie ein Glaubenstest. Das hatte Vater ihm gepredigt, seit Esau denken konnte. »Es kommt nicht darauf an, zu verstehen, es kommt darauf an, das Schicksal zu erfüllen.« Daher fragte Esau auch nicht weiter nach. Er hätte sich damit wahrscheinlich nur eine weitere Moralpredigt über das Vertrauen in die GRAFSCHAFT eingehandelt.
»Wirst du heute sterben?«, wollte Esau wissen.
Mühselig erhob sich Esaus Vater. Er lächelte, doch Esau konnte den Augen seines Vaters ansehen, dass er ihn gar nicht mehr richtig erkennen konnte.
Langsam schritt Esaus Vater auf ihn zu, wobei er sich an der Tischkante abstützen musste. Als er ihn erreicht hatte, legte er ihm beide Hände auf die Schulter und sagte: »Heute ist der Tag der Belohnung.«
»Du sagtest immer, für uns gäbe es keine Belohnung. Das Schicksal der Menschheit zu erfüllen, sei Belohnung genug.«
»Ich habe mich geirrt«, antwortete Esaus Vater lächelnd. »Dies ist der zweite Zeitstrahl. Und in diesem zweiten Zeitstrahl werden die Dinge für dich sehr gut verlaufen.«
Mit diesen Worten berührte er ein Sensorfeld auf der Tischplatte, und ein Bild an der Wand verwandelte sich in ein großes, dreidimensionales Monitorfeld, auf dem mehrere Textfelder eingeblendet wurden, auf denen Hinweise standen wie »Verschlüsselungsfeld aufgebaut« oder »Zerhacker-Code wird definiert«, jeweils verbunden mit einer Statusanzeige.
Kurz darauf war der Kastellan zu sehen.
Esau wusste, dass es sich beim Kastellan um Jason Meyer handelte. Das hatte er anhand seiner Netz-Recherchen und einer Gesichtserkennungssoftware selbst herausgefunden. Doch Vater sprach immer vom Kastellan, obwohl Jason Meyer diese Aufgabe erst vor wenigen Jahren übernommen hatte.
»Es wird Zeit, mit Dana Frost Kontakt aufzunehmen«, sagte Esaus Vater zum Kastellan und ließ die Schultern des Jungen los.
Esau nutzte die Gelegenheit, sich unbemerkt die Tränen von den Wangen zu wischen.
»Dana Frost?«, fragte der Kastellan und verzog die Augenbrauen. »Jetzt schon?«
»Allerdings!«
»Ich dachte, das wäre eines Tages die Aufgabe deines Sohnes«, antwortete der Kastellan.
»Das dachte ich auch. Doch heute Nacht hatte ich eine Vision. Und in ihr habe ich erkannt, dass wir uns in einem neuen Zeitstrahl befinden. Dana Frost war bereits an ihrem Zielort. Sie versuchte durch Manipulationen der Zeit die Menschheit zu retten.«
»Dann stimmen die Legenden von den Flüssen der Zeit!«, antwortete der Kastellan.
»Natürlich stimmen sie«, erwiderte sein Vater streng, aber gutmütig. »Und da wir uns im zweiten Fluss befinden, läuft uns die Zeit davon.
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