Sternenfaust - 193 - Der stählerne Stern
lebt, hat die Angst längst aus seinem Herzen verbannt«, schloss sie.
»Kuhan’pili«, antwortete Ken’gewa in gespannter Ruhe. »Ihr seid nahe daran, einen Frevel zu begehen. Ich schreibe es Eurer Erregung zu, die der flammende Stern über Wen’gulim bei Euch auslöste, dass Ihr das rechte Maß vergesst. So will ich im Augenblick nicht die Härte gegen Euch üben, zu der ich berechtigt und vielleicht sogar verpflichtet wäre. Meine Entscheidung werde ich nicht ändern, aber sobald Kipawa Ten’brikum hinter uns liegt, mag die Fremde mit dem Namen Ken’drahskott ins Chin’yardhi geführt werden. Dies ist alles. Entfernt Euch jetzt.«
Vu’maiti regte sich nicht. Dann besann sie sich, sank rasch auf ihr linkes Knie und verließ den Raum.
*
Kuhan’pili Vu’maiti stürzte aus dem Verwaltungstrakt, umrundete das Hekal’kichwa Ak’lothum und erreichte die breite Hauptstraße Bilad’himus, die am heutigen Tag einen völlig anderen Anblick bot – einen Anblick, wie er nur einmal im Jahr vorkam. Die Kolonne der gefangenen Tum’duni bewegte sich langsamen Schritts nach Westen, gesäumt von Tausenden von Passanten. Eine Vielzahl von Jägern wanderte zu beiden Seiten mit den Opfern, ausgerüstet mit langen, stumpfen Piken, die bei Bedarf für Ordnung im Zug der Tum’duni sorgten. Der Treck würde westlich der Stadt nach Norden abbiegen und schließlich das Hochplateau Tawil’kiwara ersteigen – die letzte Station im Leben dieser Tum’duni.
Vu’maiti aber nahm die Hauptstraße in östlicher Richtung und hatte damit zu kämpfen, sich durch die Massen der gaffenden Einwohner Bilad’himus zu drängen. Die meisten der Passanten nahmen sie gar nicht wahr, da ihr Blick den gefangenen Männern, Frauen und Kindern galt, die zum Teil in stumpfer Verzweiflung vor sich hintrotteten. Einige unter ihnen hatten dunkle Klagegesänge angestimmt. Doch immer, wenn Vu’maiti erkannt wurde, blitzte Schreck, Überraschung und Verwirrung im Gesicht des Betreffenden auf, der dann reflexartig auf sein linkes Knie sank. Zweifellos fragten sich diese Passanten, was die Kuhan’pili hier im Gewühl der Massen zu suchen hatte und weshalb sie nicht in einer jener Tem’bo-Kutschen saß, mit denen die Priesterschaft zum Tawil’kiwara befördert wurde.
In dieser Weise behindert, dauerte es beinahe eine Kas’arobo, bis Vu’maiti das Mahal’vukito erreichte. Die beiden Flügel des dreißig Fuß hohen Südtores standen weit offen, und ein schier unaufhörlicher Strom von gefangenen Tum’duni quoll träge heraus. Zu beiden Seiten des Tores hatten sich lange Reihen von Jägern positioniert, die ihre Piken am ausgestreckten Arm auf den Boden gestemmt hatten, sodass ein Spalier aus unzähligen Stangen entstand, durch das die unglücklichen Tum’duni zu marschieren hatten.
Vu’maiti sah sofort, dass hier kaum ein Durchkommen war. Also hielt sie sich nach links, um einen der Versorgungszugänge in der haushohen Mauer zu erreichen.
Die Priesterin wollte sich noch einmal mit Ken’drahskott unterhalten, soweit dies mit dem Übersetzerkästchen möglich war. Dabei erwies sich der andere Fremde als hilfreich, Tur’naggi mit Namen, der die Geistsprache der Tum’waheri beherrschte. Wäre er kein Mann, sondern eine Frau gewesen, hätte Vu’maiti vermutlich ihn für die Tar’tarishi gehalten, da er eine Sonderstellung in der Gruppe der Fremden einnahm.
Wie dem auch sein mochte – Vu’maiti benötigte weitere Informationen. Es war einfach nicht denkbar, dass die Unbekannten mit ihrem stählernen Stern nur deshalb auf Wen’gulim gelandet sein sollten, um ihre Vorräte aufzufrischen. Die Priesterin war nach wie vor davon überzeugt, dass ihr Auftauchen mit der uralten Prophezeiung im Zusammenhang stand.
Endlich gelangte Vu’maiti an ein Versorgungstor, das von zwei Wachen gesichert wurde. Sie erkannten die zweithöchste Persönlichkeit Bilad’himus sogleich und sanken ehrerbietig auf ihr linkes Knie.
»Kuhan’pili! Unser Gruß gilt Euch.« Sie hatten ihre Köpfe gesenkt.
»Erhebt euch!«
Sie kamen der Aufforderung Vu’maitis umgehend nach.
»Lasst mich ein! Ich habe mit den Fremden, die wir vergangene Nacht herbrachten, zu sprechen.«
»Sehr wohl.« Einer der Wächter entriegelte eine im Tor eingelassene Tür und wandte sich dann zu Vu’maiti um. »Ihr wollt doch wohl nicht alleine ins Mahal’vukito?«
Die Wache hatte recht. Vu’maiti hatte in ihrer Erregung gar nicht an Sicherheitsmaßnahmen gedacht.
»Er möge
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