Sternenlaeufer
gestorben, hoch im Norden.
Andry erwachte schweißnass und zitternd und rang nach Luft. Die sanfte, rotgoldene Glut einer Kohlenpfanne war nur ein schwacher Abglanz des Feuers, das er im Schlaf erblickt hatte. Er betrachtete die kleine, warme Flamme, bis seine Augen brannten, drehte sich dann im Bett um und zog die Decken um seinen zitternden Körper.
Auch Andrade hatte Träume gehabt, Visionen. Und Sioned. Andry glaubte an sie, an diese neuen Schrecken, die er vor Jahren gesehen hatte. Genau neun Jahre war es heute her. Radzyn in Flammen, Hunderte von Toten, die vollkommene Vernichtung – all diese Dinge waren ihm längst vertraut. Aber heute konnte er dem Feind Gesichter und Sitten und Gebräuche zuschreiben. Es waren keine Zauberer. Es waren nur Menschen. Merida, die Mörderliga mit narbigem Kinn – als Zeichen des ersten Mordes vielleicht? Er wusste es nicht; es war nicht wichtig. Sie hatten das getan und würden es tun. Es sei denn, er konnte es irgendwie verhindern.
Er beruhigte sich und setzte sich auf. Dann schwang er die Beine über den Bettrand. Es war kalt in der Prinzenmark, und das verhieß einen weiteren langen, regnerischen Winter. Er hüllte sich in seinen Umhang und erhob sich, um in dem kleinen Raum hin- und herzugehen. Selbst die Ringe an seinen Fingern waren kalt; er hielt die Hände über die Kohlenpfanne, um sie zu wärmen.
Das Funkeln der Steine war dunkel und spiegelte seine Gedanken wider. Zehn Ringe kennzeichneten höheren Rang und mehr Macht, als irgendein anderer Lichtläufer besaß – und doch war er hilflos und konnte dieses Gemetzel nicht verhindern, das er in seinen Visionen vorhergesehen hatte.
Er ballte die Fäuste. Er würde nicht hilflos sein; er weigerte sich. Er musste kämpfen, und niemand würde wirklich verstehen, warum er tat, was er tat. Sie würden ihm nicht einmal glauben, wenn er es erklärte. Warum trauten sie ihm nicht?
Nach seinem Sieg über Ruval hatte Pol nur das getan, was er wollte. Er hatte nicht bis zum Rialla gewartet, um Meiglan zu heiraten. Aber er hatte gewartet, bis Andry Stronghold verlassen hatte, damit andere Lichtläufer und Rohan der Zeremonie vorstanden. Was Miyon anging, so ging das Gerücht, Rohan hätte ihm eine höllische Lektion erteilt, ihn dann aber freigelassen. Verbittert ballte Andry die Fäuste. Der Prinz aus Cunaxa hatte Ruval und seinen Bruder unterstützt, hatte ihnen geholfen und ihnen die Gelegenheit geboten. Und sie hatten Sorin getötet. Und dennoch hatte Rohan ihn freigelassen.
Auch was den Handel anging, hatte Pol seinen Willen bekommen. Miyon konnte kaum anderes tun, als allen seinen Vorschlägen bezüglich Cunaxa, Tiglath und Feruche zuzustimmen, das jetzt offiziell Riyan gehörte. Genau wie Ruala. Ihre Kinder würden Zauberer sein und damit außerhalb von Andrys Reichweite.
Aber es gab noch genügend andere, die er finden und vernichten konnte. Deshalb hielt er sich heimlich in der Prinzenmark auf.
Pol hatte sogar das scheinbar Unmögliche vollbracht: Drachen waren in den Höhlen von Rivenrock geschlüpft. Zum ersten Mal seit siebenundzwanzig Jahren. Nach der Kommunikation mit dem Altdrachen, den Pol Azhdeen, »Drachenbruder«, genannt hatte, und nachdem die Schlucht durch Lichtläuferfeuer gereinigt worden war, hatten die Drachen beschlossen, die Höhlen dort wieder zu nutzen. Feylin war außer sich gewesen, als ganze einhundertundneunundachtzig Jungdrachen von Rivenrock, Feruche und anderswo geflogen waren. Die gesamte Drachenbevölkerung kam nun auf mehr als dreihundertundfünfzig. Während Pols Prinzentum waren die Drachen sicher. Alles das brachte Pol noch mehr Respekt für seine Gaben und seine Macht ein.
Andry wusste, dass nichts davon zählte. Nicht im Vergleich zu dem, was kommen würde.
Chiana war ihre Dummheit verziehen worden. Sie war tatsächlich verzaubert worden. Anders als Miyon, der dieses nur behauptet hatte. Andry erinnerte sich daran, dass er ihre hysterischen Tränen durch Donatos unwillige Augen beobachtet hatte, als sie Ostvel in Drachenruh gegenüberstand und ihre Unschuld beteuerte. Rohan hatte beschlossen, sie nicht zu bestrafen, aber weder sie noch Miyon würden in der Lage sein, auch nur zu spucken, ohne dass man ihn davon in Kenntnis setzte. So groß war die Macht des Hoheprinzen, sagte sich Andry wütend.
Geir von Waes war gestorben. Es ging das Gerücht um, daran sei der Pfeil eines seiner eigenen Bogenschützen schuld gewesen. Niemand verschwendete einen weiteren Gedanken an ihn.
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