Sternenlaeufer
Schwur, dem Mörder einen Tod zu bescheren, der der Grausamkeit dessen entsprach, was jener diesem Drachen angetan hatte.
Riyan legte ihm eine Hand auf den Arm. Er musste sich mehrmals räuspern, ehe er herausbrachte: »Sorin, wir müssen etwas tun …«
Er nickte. Aber er wusste, wie hilflos sie waren. »Wasser. Das ist alles, was wir für ihn tun können.«
Riyan ließ sein Schwert ins Gras fallen. »Ich hole die zusätzliche Ration aus meinem Vorrat.«
Während er verschwand, trat Sorin ein wenig näher an den sterbenden Drachen heran. Bernsteinfarbene Augen sahen ihn, funkelten schwach vor Wut und wurden dann wieder stumpf. Ein Mann hatte ihm das angetan, aber dem Drachen fehlte die Kraft, seinen Hass auch nur für längere Zeit hinauszufunkeln. Sorin umkreiste den riesigen, schmerzerstarrten Körper mit geballten Fäusten. Die Haken waren aus neuem Stahl und schimmerten in der Morgensonne über den blutigen Wunden, die sie geschlagen hatten; sie zogen sich in vollkommen gerader Linie an den gefällten Bäumen entlang, spannten die gebrochenen Flügel des Drachen bis aufs Äußerste. Sorin bekämpfte die Wut, die seinen Verstand zu lähmen drohte, und prägte sich sorgfältig jede Einzelheit der Folter des Drachen ein. Wer immer das angerichtet hatte, hatte sich alle Zeit der Welt genommen, um aus seinem Verbrechen ein grausiges Kunstwerk zu machen.
Riyan kam zurück, als Sorin neben dem Drachenkopf kniete. »Vorsicht!«, warnte er, als ein Kräuseln die Nackenmuskeln durchlief und der Kopf sich mühsam hob.
»Er hat gerade noch die Kraft zu schlucken, das ist alles«, antwortete Sorin. Er bettete den großen Kopf auf seine Knie und streichelte die glatte Haut zwischen den Augen. »Ich werde ihm den Kopf halten. Versuch du, ihm etwas Wasser einzuflößen.«
Der Drache war jedoch noch immer wütend genug, um schwach nach Riyan zu schnappen. Als jedoch das kühle Wasser aus dem Ziegenschlauch seine Kehle hinabrann, schloss er die Augen, und die Spannung wich aus seinen Muskeln. Sorin fuhr damit fort, Gesicht und Nacken des Drachen zu reiben. Riyan gab ihm so viel Wasser, wie er aufnehmen konnte, verschloss den Schlauch dann wieder und hockte sich auf die Fersen.
»Das kann aber nicht derjenige sein, der uns hierhergebracht hat«, bemerkte er langsam. »Die Nachricht erreichte uns vor zwanzig Tagen. Nicht einmal ein Drache könnte so etwas zwanzig Tage überleben. Das muss also schon das zweite Opfer dieses Hurensohnes sein.«
»Und sein letztes«, lautete Sorins grimmige Antwort.
»Wir kriegen ihn.« Riyan hockte sich ins Gras und kniete sich dann neben den Kopf des Drachen. »Sorin, ich habe das noch nie versucht, aber ich weiß ungefähr, wie es funktioniert. Sioned hat mich zusehen lassen, als ihre Elisel im letzten Jahr an Stronghold vorüberflog. Aber ich habe es noch nie selbst getan.« Er verzog das Gesicht zu einer Grimasse, die kein Lächeln werden wollte. »Fang mich auf, wenn ich falle, ja?«
Ehe Sorin Zeit fand zu protestieren, hatte Riyan die Augen geschlossen und mit den für Sorin mysteriösen Vorbereitungen begonnen, die ihm ermöglichen sollten, die Farben des Drachen anzurühren. Obwohl sein Zwillingsbruder ihm das Gefühl und auch ein bisschen von der Technik mehr als einmal erklärt hatte, zweifelte Sorin daran, dass er jemals verstehen würde, wie ein Lichtläufer das Licht benutzte. Andry hatte es mit Meisterwebern verglichen, die Fäden zu einem vielfarbigen Wandbehang verbanden, mit Glasbläsern, die farbiges Glas für ein Fenster auswählten. Aber Sonnen- oder Mondlicht zu berühren oder eine Person über die Schattierungen ihres Geistes zu empfinden – das war für Sorin ungefähr so, als sollte er sich vorstellen, Musik zu trinken.
Riyans Rücken wurde so gerade wie eine Schwertklinge, und ein Stöhnen kam über seine Lippen. Er riss die Augen auf, und das dunkle Braun darin war erhellt von merkwürdigen Bronze-, Gold- und Grünflecken, die Pupillen waren wie Nadelspitzen und glühten wie schwarze Sterne. Er grub die Finger in den Boden, als wären sie Krallen. Entsetzen und Wut sprachen aus seinen Augen. Sorin hielt den Atem an angesichts des verzerrten Gesichts seines Freundes. Dann schrie Riyan auf und brach zusammen.
»Riyan!« Sorin schüttelte seine Schulter. »Komm schon, wach auf!«
Es schien ewig zu dauern. Schließlich durchlief Riyan ein langer Schauer, und er stützte sich auf einen Arm und hob langsam den Kopf. »Sorin?«
»Trink etwas Wasser.« Er hakte den
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