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Sternenschatten

Sternenschatten

Titel: Sternenschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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Blick. »Dari, du wirst dann also der Mann im Hause sein. Mach Mama keinen Kummer. Wenn ich fortgehe … komme ich wahrscheinlich nicht so bald wieder. Trotzdem werdet ihr auf mich warten. Abgemacht?«
    Sag mal, Kelos, bist du jetzt völlig übergeschnappt?! Du wirst niemals hierher zurückkehren! Du bist über das Leben eines Menschen hinausgewachsen, du bist inzwischen selbst Plasma und Asche. Und du, Dari, du hast vorm Einschlafen zu viele Märchen gehört! Zerreiß die Fäden nicht, die dir eine Illusion von Leben geben! Lass meine Hand los und falle deinem Vater schluchzend um den Hals, damit es ihm nicht mal in den Sinn kommt, von hier fortzugehen …
    Aber natürlich schwieg ich.
    Natürlich löste sich Dari von mir und fiel Kelos um den Hals. Gut so, mein Junge, und jetzt bring es zu Ende!
    »Komm so schnell wie möglich wieder zurück, Papa!«
    In Kelos’ Augen loderte ein schwarzer Abgrund.
    »Lauf, Dari, und bring den Flyer her. Sei aber leise.«
    Der Junge nickte. Er ließ seinen Vater los und sah mich an. Freust du dich jetzt, mein Junge, dass du deinen Kopf durchgesetzt hast? Du hältst deinen Vater für einen Helden, aber auch Helden kommen manchmal nicht nach Hause zurück …
    »Papa wird dir helfen, Pjotr. Er hilft allen.«
    »Danke, Dari«, flüsterte ich. »Du weißt selber nicht, was du für ein richtiger Junge bist.«
    Sobald der Junge das Treppengeländer heruntergerutscht war, wandte ich mich Kelos zu. »Warum? Warum tust du, was er will? Er ist doch nicht mal echt!«
    »Dafür bin ich immer noch ein Mensch.«
    »Kelos, wenn du ein Mensch bist … dann besuche ich dich in fünf Jahren mal. Und du wirst hier sein. Und Dari wird fünfzehn sein.«
    »Mit dir habe ich mir vielleicht was eingehandelt«, sagte Kelos mit gequälter Stimme. »Aber das liegt alles am Schatten, Pjotr, nur an ihm. Er hat gewusst, wohin du gehen musstest. Und er hat gewusst, wie er mich erwischt.«
    »Dann bist du wirklich noch ein Mensch.«

Dritter Teil
    Die Heimat
     

Eins
     
    Ich hatte geglaubt, dass Kelos fliehen wollte. Sich heimlich von Rada wegstehlen würde. Schließlich beging er eine Riesendummheit … noch dazu eine eklatante. Jahrzehnte hatte er sich hier versteckt, war durch kein Tor gegangen, hatte den Planeten nie verlassen – und alles nur, um in sich das Menschsein, das ihm entglitt, zu bewahren. Um das zu bewahren, was es in ihm schon längst nicht mehr gab. Dass in ihm noch viel von einem alten Kämpfer steckte, darauf kam es ja gar nicht an. Viel wichtiger war, dass er einen Blick in seine Zukunft geworfen hatte.
    Ein Flammenmeer. Plasma und Asche. Marionettenkörper, die ihr Leben als Körper weiterleben … Ach, ihr Philosophen und Soziologen, wie sehr habt ihr über geistige und materielle Werte gestritten. Über die Konsumgesellschaft und die geistige Entwicklung. Hier seht ihr eine ideale Lösung. Eine plakative, betont schöne Lösung. Ein Flammenmeer, die Heimstatt eines anderen, nichtmenschlichen Verstands. Konservierte Körperhüllen, die ewig durch die Geschäfte streifen, fünfe gerade sein lassen, Schauspielern applaudieren und Politiker auspfeifen … Eine Karikatur für Touristen. Oder war es womöglich gar keine Karikatur, sondern ganz im Gegenteil ein verlockendes und gutes Bild …
    Kelos wusste, was er früher oder später tun würde. Diesem Wissen würde er nie entkommen. Ob ich nur als Vorwand gedient hatte? Als Anlass für ihn, aufzustehen und das gemütliche Haus zu verlassen, in dem es ihm zu eng wurde?
    Aber Kelos verabschiedete sich von seiner Frau.
    Ich verzog mich derweil in den Hof. An dem Haus war mir die ganze Zeit etwas seltsam vorgekommen, und während ich vor der Tür wartete, begriff ich endlich, was. Es gab keinen Zaun, hinterm Haus begann gleich der Wald. Und die Haustür schloss auch niemand ab.
    Vielleicht gab es hier keine Kriminalität – was seltsam wäre, denn auf den Planeten des Schattens mussten doch Verrückte und Verbrecher auftauchen –, vielleicht waren die Vorrichtungen zum Schutz und zur Überwachung auch zu raffiniert für mich getarnt. Oder Kelos hatte einfach vor niemandem Angst. Bei seinen Möglichkeiten würde mich das nicht wundern …
    Einen Moment – einen kurzen Moment nur – packte mich Verzweiflung. Alles, was ich unternommen hatte, war Kinderkram gewesen. Hier, im Herzen der Galaxis, hatten sich vor langer Zeit Stürme gelegt, die man sich auf der Erde nicht einmal vorstellen konnte. Hier waren Imperien entstanden und wieder

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