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Sternenschatten

Sternenschatten

Titel: Sternenschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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alt ist. Wir verstecken uns vor der Welt, Pjotr. Uns jagt jede Alternative Angst und Schrecken ein, wir hassen alle Veränderungen. Wir fahren mit einem Floß den Fluss hinunter, machen in den Wäldern ein Lagerfeuer und jagen Wild, niesen, wenn wir erkältet sind, und treiben Sport. Und wir haben furchtbare Angst zu sterben, Pjotr! Weil niemand weiß, wohin ihn das Tor bringt! Niemand weiß, was er im Grunde seines Herzens will!«
    Kelos beugte sich abrupt über mich und fragte leise: »He, Pjotr, du siehst das Feuer nicht, oder? Ich habe schreckliche Träume, lieber Cousin vom Planeten Erde! Ich träume von jener Stadt am Grund des Plasmameers, ich träume von Marionetten, die durch die Straßen ziehen, streiten, lachen, mit Kindern spielen … Aber du siehst das Feuer nicht, oder, Cousin? Dich versengt die Flamme nicht? Vielleicht sind wir schon alle tot, Pjotr? Und das, das alles ist eine Fiktion! Ein vertrockneter Kokon, aus dem der Schmetterling bereits vor langer Zeit geschlüpft ist, eine abgeworfene Schlangenhaut, die du nur im Schatten für ein lebendes Wesen hältst … Und mein inexistenter Sohn, dem ich beibringe, ein Lagerfeuer mit nur einem einzigen Streichholz anzuzünden, mit dem ich fröhliche Lieder singe und im Regen spazieren gehe … vielleicht ist Dari der einzige lebendige Mensch, und um ihn herum existieren nur Puppen, eine Papapuppe, eine Mamapuppe …«
    Er hatte wahnsinnige, vor Schmerz schwarze Augen. Seine Wange zuckte nervös.
    »Siehst du das Feuer, Pjotr?«
    »Ich sehe einen Feigling!«
    Die Dunkelheit in seinen Augen begann zu schmelzen.
    »Warum, Pjotr? Wer bist du, mir Feigheit vorzuwerfen? Bist du mit deinem Schiff verbrannt? Weißt du, wie dein Herz zerreißt, wenn es von einer Kugel getroffen wird? Weißt du, wie es zerreißt, wenn du dein Kind verlierst? Hast du Welten gesehen, die nicht nur über deine Kräfte gehen, sondern über deinen Verstand? Was hast du vollbracht, um mir Feigheit vorzuwerfen?«
    »Ich gehe weiter.«
    Er stand zu nahe bei mir, als dass ich mich aus dem Sessel hätte erheben können. Ich stieß Kelos weg und sprang auf.
    »Ich gehe weiter, mein guter älterer Bruder! Ich blicke auf eure Welten – und werde meinen Blick nicht von den Flammen abwenden! Wenn du kein Feuer willst, brauchst du dennoch kein Wasser zu holen! Wenn ich mich in einen Wagen setzen kann, dann gehe ich nicht zu Fuß, und wenn ich spazieren gehen will, werde ich nicht den Wagen zu Klump schlagen! Ich bin selbst eine Puppe gewesen, lieber Cousin! Eine großartige, gehorsame, fleißige Puppe. Gut, ich habe noch keine Schiffe durch die Photosphäre von Sternen gesteuert! Ich habe sie nur auf einer Autobahn gelandet und in einem Autobus voller Tomaten gebremst. Aber weißt du was? Auch das war schrecklich! Und ich habe niemanden verloren in meinem Leben; ich hatte keine Freundin, keine Eltern, keine Kinder! Ich habe nur mich selbst verloren … zwei Mal. Einmal auf der Erde, als ich einen fremden Platz eingenommen habe. Dann in Der Heimat, als ich in einen fremden Körper geschlüpft bin. Und weißt du was? Sich selbst zu verlieren – das tut auch weh. Danach fängst du an, anders zu leben … bewusster. Ich wünsche den Geometern nichts Schlechtes. Aber ich wünsche auch der Erde nichts Schlechtes. Und auf euer Paradies verzichte ich, denn es riecht mir hier zu sehr nach Schwefel!«
    »Du kommst nicht mehr aus dem Schatten raus, Pjotr. Du hast ihn schon in dir.«
    »Von mir aus. Aber ich bin nicht in ihm!«
    Kelos schüttelte den Kopf. In seinem Blick lag keine Bosheit – sondern Neid.
    »Ich war auch einmal so, Pjotr. Als wir die Allianz gegründet haben … als wir die Welten, die sowieso schon frei waren, mit der Peitsche zur Freiheit getrieben haben … Geh durch ein Tor, Pjotr! Finde eine Welt, die euch verteidigen will! Und warte … warte, bis der Schatten zu deiner Erde kommt!«
    »Wir selbst werden zu euch kommen«, versprach ich.
    Kelos nickte müde.
    »Du bist ein guter Junge. Ich erkenne mich in dir wieder. Falls ich dich gekränkt haben sollte, verzeih mir. Ich wollte dich nicht verletzen, darauf gebe ich dir mein Ehrenwort.«
    Meine Wut löste sich in Luft auf – und zurück blieb nur Schmerz.
    »Ich bin dir dankbar, Kelos. Aber eine Frage habe ich noch …«
    »Ich kenne die Antwort nicht. Und ich will sie auch nicht wissen.«
    Sein Gesicht zitterte erneut.
    »Kannst du also doch Gedanken lesen?«
    »Vierhundert Jahre sind ein ausreichend langer Zeitraum, um schon alle

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