Sternenschatten
immer noch neben Dari, sagte ihm etwas, zärtlich und zugleich ernst, ermunterte ihn, überzeugte ihn …
Wie seltsam. Diejenigen, für die es schon zu spät war, noch ein Mensch zu sein, verhielten sich weitaus besser als die meisten Menschen. Konnten wir womöglich nur jenseits dessen, was Menschen zugedacht war, nur, wenn wir uns schon voller Panik zurückwandten, schätzen, was uns einst möglich gewesen war, was wir da aber gar nicht gebraucht hatten.
Ging es denn wirklich nicht anders? Musste man sich unbedingt mit lebendigen Ankern an die Menschheit binden?
Und was gewann, was verlor Kelos am Ende wirklich?
In den Genuss welcher Freuden würde er kommen, wenn er seinen menschlichen Körper hinter sich ließ? Waren alle unsere Gefühle, unsere Liebe und Freundschaft womöglich nur ein jämmerlicher Schatten dessen, was wir eigentlich erreichen konnten? Würde Kelos selbst ungeachtet eines ewigen Lebens jene Jahre und Minuten bedauern, die er damit verschwendet hatte, einen Menschen zu spielen?
Ich wusste es nicht. Und ich wollte es nicht wissen. Kelos tätschelte Dari die Schulter und kam zum Flyer.
Der Himmel. Der unendliche Himmel.
Wir waren schon so hoch gestiegen, dass der Tag verblasste. Die Sonne loderte im Zenit, konnte die Sterne aber nicht überstrahlen. Die gelbe Scheibe, die bunten Funken … Gibt es im Schatten Welten für Dichter und Maler? Welten, in denen orangefarbener Regen niedergeht, grüne Blitze zucken, bunte, mit den Brillanten der Sterne bestäubte Sonnen einen Reigen tanzen? Gibt es Welten reiner Schönheit, wahnsinniger Inspiration, leidenschaftlicher Verehrung, übermächtigen Grams und heiliger Liebe? Selbstverständlich. Genauso wie Welten der ewigen Kriege, wie Planeten, die als Gefängnisse dienen, wie Heimstätten blutiger Tyrannen und religiöser Fanatiker, wie Welten, die voll Schmerz und Sturheit eine menschliche Welt darzustellen versuchen …
Der Schatten.
Die Bezeichnung geht nicht auf den finsteren Irrstern zurück. Eher auf jenen Schatten, der in jeder Seele lebt. Der Schatten schenkt jedem die Freiheit der Selbstverwirklichung, da hatte das Informationsnetz nicht gelogen. Tritt in das Tor ein – und wenn du wirklich fortgehen willst, gelingt dir das auch. Du kommst an den Ort, wo deine Träume Wirklichkeit geworden sind, wo du langersehnte Freunde und Feinde findest …
»Wohin fliegen wir, Kelos?«
Er lag halb aufgerichtet in der Luft, schaute nach oben, zum Himmel hinauf, der bereits schwarz war, zu jenem Eckchen in der Unendlichkeit, in dem Kelos’ Planet schlummerte.
»Zur Station der Handelsliga.«
»Ich habe gedacht zu einem Tor …«
»Nein, Pjotr. Zu einem Tor kann man immer zu Fuß gehen … Ich hoffe wirklich darauf, wieder nach Hause zurückzukehren. Aber dazu muss ich die Tore meiden.«
Als Kelos die Arme ausbreitete, funkelte die brillantene Membran.
»Außerdem darf ich nicht sterben, Pjotr. Denn ich werde kaum als Mensch auferstehen. Das verstehst du doch, oder?«
»Ja. Verzeih mir.«
»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Du hast mir keine Wahl gelassen, Junge. Nicht die geringste. Wenn ich dir nicht helfen würde, müsste der Mann, der ich die letzten fünfzig Jahre gewesen bin, sich schämen. Doch selbst wenn ich mit dir aufgebrochen bin, besteht kaum Hoffnung für uns … Immerhin ist es aber der Schritt eines Menschen. Dich trifft dabei keine Schuld. Vielleicht war wirklich die Zeit gekommen, eine Wahl zu treffen.«
»Was hat die Handelsliga uns zu bieten, Kelos?«
»Sie stellt eine Alternative dar. Eine schwache Alternative zum Schatten und zu den Toren. Sie bekämpft den Schatten nicht, wie es damals die Kristallene Allianz getan hat. Trotzdem bewegt sie sich zwischen den Welten und ist zumindest so stark, dass die Herrscher neu entstandener Imperien sie in Ruhe lassen. Die Leute dort wissen viel.«
»Und würden sie uns auch helfen?«
»Eventuell. Ihr Motto ist: Nicht nur der Schatten dient dem Menschen. Insofern kannst du jederzeit mit einem Schiff der Liga in die Welt gelangen, die du brauchst. Außerdem … haben viele meiner Freunde aus der Allianz diesen Weg gewählt. Sie haben sich denjenigen angeschlossen, die uns zerschlagen haben. Ich war vermutlich zu stolz für diesen Schritt …«
»Aber worum soll ich sie bitten, Kelos? Können sie mir eine Kampfflotte für den Schutz der Erde überlassen?«
»Das ist nicht ihre Methode«, entgegnete Kelos. »Nein, Pjotr, letzten Endes sehe ich nur eine einzige
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