Sternenschatten
musste, dass er einfach dazu verpflichtet war. Denn ohne sie waren alle Geschenke des Schattens für ihn sinnlos. Sowohl die Wolken, jene Schwärme funkelnder Vögel, die im Wind mit fliegenden Inseln um die Wette jagten, als auch die wilden Wälder, in denen halbnackte Menschen im Einklang mit der Natur lebten, oder die riesigen Städte, wo Häuser den Blick auf den Himmel versperrten, oder die Wasserfälle, die über Felsen aus Edelstein rannen, oder das kleine Haus am Rand eines unendlichen Felds, wo man dem Jungen zu essen gab und lange versuchte, ihn zu trösten … Manchmal hatte der Junge den Eindruck, er habe schon den gesamten Schatten durchwandert, aber dann begriff er, dass das einfach unmöglich war. Er weinte und lachte, trat ins Tor und wartete, schließlich musste das Mädchen ihn auch suchen, anders konnte es ja gar nicht sein … Ab und zu packte ihn Wahnsinn, und es verschlug ihn in Welten, in denen Krieg tobte, wo er sich in den Kampf stürzte, ohne den leisesten Schimmer zu haben, gegen wen oder wofür er kämpfte. Er wurde zu einem guten Soldaten, sogar Legenden waren über ihn in Umlauf … ein paar kurze Jahre lang. In einer Welt wurde er zum Kriegsherrn ernannt. Dort ist er geblieben. Wenn der Schatten ihn nicht zu seinem Mädchen bringen wollte, dann würde er den Schatten eben in Stücke reißen. Der Junge schwor sich, ein neues Imperium zu schaffen, das ganze Universum zu erobern und sein Mädchen zu finden. Er hatte ja keine Ahnung, wie viele Jungen vor ihm schon einen solchen Schwur geleistet hatten …«
»Du hast sie nicht gefunden?«, fragte ich.
»Nein. Später, als der Junge erwachsen und klüger geworden war, als er seine Freundinnen nicht mehr versehentlich mit dem Namen dieses Mädchens ansprach, da verstand er, was passiert war. Er hatte geliebt … er hatte in einem blendenden Licht gelodert … und das Mädchen hatte im Widerschein geleuchtet. Er durfte ihr deswegen keinen Vorwurf machen. Denn sie hatte ja wirklich geglaubt, vor ihnen läge ewiges Leben und ewige Liebe. Aber der Schatten … der Schatten kannte die Wahrheit. Und er hatte ihr die Freiheit geschenkt.«
»Und nun kannst du sie nicht vergessen? Du kannst dem Schatten nicht verzeihen?«
»Nein. Ich habe sie vor langer Zeit vergessen, Pjotr. Ich erinnere mich kaum noch an ihr Gesicht. Rada und mich verbinden hundert Mal mehr Erinnerungen, mehr Freuden und Schmerzen als diesen Jungen und dieses Mädchen. Aber etwas anderes, das kann ich nicht verzeihen, Pjotr. Jenen Augenblick … nachdem ich zum ersten Mal durch ein Tor gegangen war. Der Geruch des Meers, das Branden der Wellen, der glutrote Himmel … die Sonne ging gerade unter … diesen Augenblick der Euphorie … diesen kurzen Augenblick, als alles vor uns lag und wir zu zweit waren. Aber dann sah ich auf meine Hand, die leer und zur Faust geballt war. Der Sonnenuntergang erlosch, das Meer starb, der Junge schrie vor Schmerz auf. Das … das kann ich nicht verzeihen, Pjotr.«
»Der Schatten bringt kein Glück.«
»Der Schatten gibt dir Freiheit. Aber was man mit dieser Freiheit anstellt, das entscheidet jeder selbst. Wenn dein Glück aus der Unfreiheit von jemand anderem gemacht ist, dann hast du eben Pech gehabt.«
»Aber er bringt kein Glück.«
»Richtig. Wenn du eine ideale Welt gesucht hast, Pjotr, die euch hilft, die Wohlstand bringt, Sicherheit und Glück, dann hast du dich geirrt. Zumindest in einem Punkt.«
»Ich habe nur Freiheit gesucht, Kelos.«
»Was willst du dann? Die hast du gefunden. Aber ob sie dir viel Freude bringt?«
»Viel nicht, nein. Und jetzt weiß ich nicht mehr, was ich suchen soll.«
Wir schwiegen beide. Der Flyer flog über den Planeten, um uns herum funkelten die Sterne. Die fernen, schönen, freien, von einer einzigen Kette verbundenen Sterne. Was sollte man wählen, wenn keine Entscheidung die richtige war?
Den strengen Traum der Geometer?
Den bösen Pragmatismus des Konklaves?
Die gleichgültige Laissez-faire-Haltung des Schattens?
Wenn es nur zwei Alternativen gibt, kann man immer auf eine dritte hoffen.
Aber nur in Märchen besiegt der dritte Sohn den Drachen, stellt sich der dritte Wunsch als der richtige heraus.
In den Welten der Unfreiheit, in den Welten der scharf beschnittenen Rechte, in den Welten der zügellosen Anarchie sind die Menschen immer und überall zum Leiden verdammt. Sie sind verdammt zu verlieren, zu suchen und sich zu irren. Schmerz zuzufügen und Qualen auszuhalten. Ich jedoch brauche
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