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Sternenschimmer

Sternenschimmer

Titel: Sternenschimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Winter
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Kopf. »Nein. Ich muss erst Iason fragen.«
    Ich zuckte die Achseln und steckte den Chip zurück in meine Tasche. Dieser Iason war offenbar das glatte Gegenteil von dem, was ich mir in Gedanken ausgemalt hatte. Ein blonder, zarter Junge, der beschützt werden muss. Ha! Ha!
    Als wir weitergingen, schielte Hope immer wieder sehnsüchtig auf das cremige Weiße an meiner Zunge. Aber als ich ihr davon anbot, lehnte sie erneut seufzend ab.
    »Machst du eigentlich immer alles, was Iason dir sagt?«, fragte ich schließlich.
    Verständnislos sah sie mich aus ihren großen grauen Augen an. »Er ist mein Bruder!«, sagte sie, als ob mit dieser Antwort alles klar wäre.
    Nach einer guten Viertelstunde erreichten wir die Stadtgrenze. Da die Ozonwerte heute sehr niedrig waren und die Kuppeldächer offen, blieb das Pförtnerhäuschen unbesetzt, und wir konnten die Grenze ohne Umschweife passieren.
    Schon bald wies Hope mit ausgestreckter Hand auf die blaue, glitzernde Fläche, die sich zwischen den vor uns liegenden Dünen am Horizont abzeichnete. »Ist das die See?«
    »Ja! Sag bloß, du bist noch nie am Meer gewesen?«
    Hope schüttelte den Kopf. »Nein. Ich kenne nur Flüsse.«
    »Wirklich?« Ich nahm sie bei der Hand. »Na, dann wird’s aber Zeit«, sagte ich, warf meinen Eisstiel in den Müll und lief mit ihr den schmalen Fußweg zum Strand hinab.
    Als wir die Küste erreicht hatten, zog ich Schuhe undStrümpfe aus. »Mach mit. Es ist toll, hier barfuß zu gehen. Der Sand kitzelt so schön an den Füßen.«
    Hope zögerte. Natürlich! Was würde Iason wohl dazu sagen? Aber hatte er ihr nicht erlaubt, mit mir an den Strand zu gehen? Irgendwann kam sie offenbar zu derselben Überzeugung, denn auf dem Weg zum Wasser streifte sie ebenfalls Schuhe und Strümpfe ab.
    Vergnügt quietschend folgte sie mir. Die Wellen waren heute sehr hoch und brachen sich krachend an den Felsen.
    Hope hüpfte jedes Mal ängstlich, aber auch fasziniert zurück, wenn der weiße Schaum unsere Beine umspülte. Doch es dauerte nie lange, dann stand sie wieder neben mir – bis die nächste Welle kam. So ausgelassen wie heute hatte ich sie noch nie erlebt und die Freude darüber sprang in mir auf und ab.
    Wir tobten noch lange herum. Hope wurde immer mutiger. Manchmal wagte sie sich so tief ins Wasser, dass ich sie zurückreißen musste, damit sie nicht von der nächsten Welle erfasst wurde.
    »Die Strömung hier ist tückisch«, warnte ich sie. Aber in ihrem Spiel mit den Wellen schien sie meine Worte überhaupt nicht zu registrieren. Vorsichtshalber blieb ich in ihrer Nähe.
    Hope stapfte tiefe Fußabdrücke in den nassen Sand und gluckste vor Freude, wenn sich diese mit Wasser füllten.
    Mit halbem Blick auf das Meer sah ich ihr zu, während die wilde Brandung in meinen Ohren tobte.
    Hope bückte sich, um eine Muschel aufzuheben, die aber in diesem Moment von einer Welle erfasst und bis zu mir gespült wurde. Lachend lief sie auf mich zu. Ich ging in die Hocke, um sie ihr zu geben, als ich über mir eine Schar Möwen kreischen hörte. Mein Blick wanderte zum Himmel. Ich genoss es jedes Mal, Vögeln zuzusehen, waren sie doch fast die einzigen Wesen, die sich auf der Erde nicht einsperren ließen. Mit welcher Selbstverständlichkeit sie über dem Wasser kreisten, unabhängig von allen Vorschriften flogen sie immer genau dorthin, wo es ihnengerade passte. Nach einer Weile wanderte mein Blick wieder zurück zu Hope. »Siehst du sie? So frei wäre ich auch gern.«
    Hopes Augen folgten meinen. »Aber du bist es nicht«, bemühte sich die Kleine, mich zu verstehen. »Wegen eurer Kuppel und so.«
    »Genau.« Ich schenkte dem Himmel ein wehmütiges Lächeln.
    Eine Weile sahen wir schweigend den kreisenden Vögeln zu. »Auf Loduun war nie jemand eingesperrt«, vermischte sich Hopes Stimme mit dem Meeresrauschen und Möwengeschrei.
    Welch schöne Vorstellung, dachte ich, bis ich merkte, wie die Kleine den Kopf senkte und ein Stück Treibholz im Sand fixierte. »Bis Lokondra kam.«
    Ich musste ihre Worte mehr von den Lippen ablesen, aber trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, schien mir ihr stiller Kummer derart laut, ich hörte die Brandung kaum mehr. Erfüllt von Erinnerungen wandte sie sich ab. Der letzte Ausdruck, den ich auf ihrem Gesicht einfing, rammte sich wie eine Faust in meinen Magen. Nie zuvor hätte ich gedacht, dass so viel Schmerz in ein gerade mal sechsjähriges Kind passen könnte. Ihn jetzt sehen zu müssen, fühlte sich unerträglich an.

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