Sternenseide-Zyklus 1 - Kind der Dunkelheit

gänzlich nach außen gerichtet war?«
    »Khira ...«
    Sie schaute aufgewühlt zu ihm. Wenigstens war er keiner von denen. Statt dessen war er ihr Opfer. Selbst sein Fleisch war unter Zwang Birnam Rauth entnommen worden. Und sein Verstand vorsätzlich programmiert ...
    »Bitte ...
ich werde später auf dein Zimmer kommen.«
    Er respektierte ihren Kummer mit einem stummen Nicken und schlüpfte fort. Sie wandte sich zurück, den Flur hinunter, ihr Verstand raste. Wenn er nur lügen könnte, wenn Tiahna ihn fragte ...
    Wenn er nur lügen könnte ...
    Khira runzelte die Stirn, ihre Gedanken wandten sich in eine neue Richtung. Warum hatten die Benderzic ihn nicht einfach darauf programmiert zu lügen? Dann hätte er ihr jede Geschichte erzählen können, die ihm gefiel, über seine Leute und seine Herkunft. Und morgen könnte er Tiahna die gleiche Geschichte erzählen: daß er ein gestrandeter Reisender sei, von seinen Leuten durch Zufall getrennt, daß irgendeiner, der seiner Familie Böses wünschte, ihn entführt  und dann im Stich gelassen habe, daß er ein Student sei, ausgesandt, Brakraths Art und Weise zu studieren, daß ...
    Aber er konnte Tiahna nichts derartiges erzählen. Man hatte ihm nicht beigebracht zu lügen. In ihre Gedanken verstrickt, durchschritt Khira den Flur. Sie sah überrascht auf, als Techni-Verra sie ansprach, sie hatte die Annäherung Arnimifrau nicht gehört. »Khira, warst du im Thronsaal, Commander Bullens mit deiner Mutter sprach?«
    »Ich war dort. Verra ...«
    »Er sagte, deine Mutter drohe damit, uns auf unbestimmte Zeit hierzuhalten – uns kaltzustellen, wenn wir zu reisen versuchen. Er ist auf dem Wege, das Arnimikommando umgehend zu benachrichtigen.«
    Kaltstellen. Typisch Bullens, ein Wort zu benutzen, weder Fleisch noch Blut hatte. »Sie hat mit ihm gespielt, erwiderte Khira ungeduldig. Es überraschte sie, daß Verra das nicht begriff. »Er versuchte, ihr klarzumachen, daß der Rat der Versteinerung Brakrath nicht schützen könnte. Und er versuchte, ihr zu sagen, daß Dunkeljunge nichts als ein Abbild wäre – etwas, was du in einem Spiegel erblick kannst.« Unwirklich, ohne eigenes Leben.
    War er nur das, ein Schatten, geworfen auf eine reflektierende Oberfläche? Sie konnte es nicht glauben. Ebensowenig konnte sie glauben, daß er nur ein Datensammel-Instrument war.
    »Es ist ... es ist nur ein Ausdruck, Erbin«, antwortete Verra verwirrt. »Eine Auslegung. Es gibt eine Reihe von Wörtern, die wir benutzen könnten, wenn du die Sprache der Arnimi beherrschtest. Aber Commander Bullens ist sehr bestürzt. Er will, daß wir unverzüglich abreisen. Er ist unterwegs, um vom nächsten CoSignator aus bewaffnete Schiffe anzufordern.«
    Khira schüttelte den Kopf und wies Verras Abschweifungen zurück. »Verra ... warum kann Dunkeljunge meine Mutter nicht belügen, wenn sie ihn morgen befragt? Wenn er ihr erzählen könnte, daß er nie etwas von den Benderzic gehört hat, wenn er ihr sagen könnte ...«
    Verra fuhr sich mit der gespreizten Hand durchs Haar und wühlte es durcheinander. »Kind, wir reden aneinander vorbei. Die Drohung, die deine Mutter Commander Bullens gegenüber aussprach ...«
    Khira streckte plötzlich frustriert die Arme aus. »Verra, sie hat gespielt. Sie war wütend. Wenn du an Stelle von Commander Bullens mit ihr geredet hättest, hätte sie nichts gesagt. Und er wird nicht in der Lage sein, seine Kommandantur auf irgendeine Weise zu erreichen. Es war Teil der Vereinbarung mit dem Rat, daß keine Botschaft vom Planeten aus gesandt wird, wenn sie nicht von einem Mitglied des Rates überprüft worden ist. Deswegen mußten alle eure Sendestationen auf den Rat gerichtet werden, als eurer Gruppe erlaubt wurde, hier Quartier zu nehmen.«
    »Ja, ja, natürlich. Aber Khira, Commander Bullens hat nicht alle Sender umgestellt. Er behielt einen, eine kleine Anlage. «
    Wieder war Khira von Verras Ignoranz überrascht. »Ich weiß. Alzaja zeigte sie mir vor drei Wintern.«
    Verra wurde sehr still. »Sie ... sie kann es nicht getan haben. Wir sprachen mit niemandem darüber. Es sieht ... ganz wie eine andere Art von Instrument aus.«
    »Ja, ein Wetterinstrument. Erinnerst du dich nicht daran? Commander Bullens ließ Alzaja die Tastatur eurer Datenbank und den Bildschirm benutzen, in dem Winter, als sie lernte, eure Sprache zu lesen.« Alzajas Interesse für Arnimisch war eine Leidenschaft, die Khira nicht geteilt hatte. »Sie überprüfte Inventarlisten und entnahm ihnen,