Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Sternenseide-Zyklus 3 - Sternenseide

Titel: Sternenseide-Zyklus 3 - Sternenseide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
Vom Netzwerk:
Frage. Und Verra stand noch immer an der Schleuse, taktvoll genug, um nicht einzutreten. Reyna hielt das Skizzenbuch an den Körper gedrückt und bemühte sich darum zu verstehen, warum Verras diplomatische Fragen an ihr nagten; warum sie Birnam Rauths Aufzeichnungen nicht anhören wollte, warum sie die Kabinen nicht aufmachen oder seine Besitztümer ansehen wollte, warum sie nur wünschte, zurück an den Fluß zu gehen und den Bäumen zu lauschen.
    Es war zuviel für sie. Das unberührte Raumschiff in der Steppe, die zwanglose Unordnung in der Kabine, das geöffnet auf der Werkbank liegende Skizzenbuch; die Umgebung Birnam Rauths war mit seinem Leben erfüllt. Sie erwartete ihn. Während sie sich in der Kabine aufhielt, in der er gegessen hatte, in der er geschlafen hatte, verwandelte sich Reynas Ungewißheit in Trauer.
    Sie brauchte Zeit; Zeit, um zu verarbeiten, was sie hier gesehen hatte: Birnam Rauths Menschlichkeit. Seine Kühnheit. Und all die anderen Dinge, die bis jetzt reine Abstraktionen für sie gewesen waren, obwohl sie geglaubt hatte, ihre volle Wirklichkeit von Anfang an gespürt zu haben.
    »Weshalb ... weshalb fängst du nicht damit an, dir seine Aufzeichnungen anzuhören, Verra«, sagte sie und wählte ihre Worte sorgfältig, weil ihr bewußt wurde, wie zerbrechlich ihre Verfassung war. »Ich möchte die Skizzenbücher durchsehen.«
    »Natürlich.« Noch mehr Takt. Und Verra stand daneben und sah Reynas mühsam beherrschte Erregung nicht.
    Reyna fand eine Stelle im Gras, von der aus ihr die Büsche den Blick auf Birnam Rauths Schiff teilweise verwehrten.
    Dort setzte sie sich hin, legte das Skizzenbuch neben sich und bettete den Kopf auf die Knie.
    Die Sonne wärmte ihr den Rücken. Sie lastete wie ein Gewicht auf ihrem Körper. Aber Reyna weinte nicht, und nach einer Weile begann sie müßig darüber nachzudenken, warum nicht.
    Weil nicht die richtige Zeit dazu war? Weil sie nichts als ein verlassenes Schiff vorgefunden hatten? Oder weil das, was
    ihre Mutter ein starkes Gemüt nannte, sie davon abhielt? Die Suche hatte erst begonnen, und dies war nicht der richtige Moment für Schwäche. Sie seufzte, nahm das zweite Skizzenbuch auf und blätterte es durch.
    Vor ihren Augen spielten sich Szenen des Waldes ab; seine sämtlichen geheimen Plätze waren eingefangen: freie Lichtungen voller Blumen, Höhlen am Fluß, einzelne Bäume; einige weiß und mit glatten Stämmen, andere mit Moos bewachsen und düster, als wüßten sie von den tiefsten Waldgeheimnissen zu berichten. Sie ragten wie Giganten empor, mit undurchdringlich dunklen Höhlungen in den Stämmen, wie diejenigen, die Birnam Rauth am Flußufer gefunden hatte. Reyna fuhr mit den Fingerspitzen leicht über die lockeren Seiten und wünschte sich, erahnen zu können, was Birnam Rauth gefühlt hatte, als er diese Geheimnisse erforscht und aufgezeichnet hatte. Wenn ihr eine Rolle und ein Stift zur Verfügung stünden ...
    Aber was hätte es ihr schon genützt, das leere Schiff zu skizzieren, oder die lebendige Unordnung in seinem Inneren? Das waren die Geheimnisse, die sie erkunden mußte, und dazu benötigte sie etwas Machtvolleres als einen Stift.
    Und wozu war es nütze, daß sie hier saß und Gedanken wälzte, die zu nichts führten?
    Schließlich stand sie schwerfällig wieder auf und ging zum Schiff zurück.
    Sie verstand nicht sogleich, was sie hörte, als sie die innere Schleuse passierte. Zwei verschiedene Stimmen drangen aus den Wandlautsprechern; eine gehörte Birnam Rauth, aber er redete in einer Sprache mit vielen Zischlauten, und Reyna erkannte sofort, daß es nicht Carynesisch war. Die andere Stimme war weicher und sanfter. Während Reyna ihrem äußerst fremdartigen Klang lauschte, fröstelte sie und erstarrte im Innersten.
    Zu spät sah sie, daß Verra dort mit dem Übersetzungsgerät auf den Knien saß, es jedoch nicht benutzte. Juaren blickte abwesend auf, als sich Reyna neben ihm auf die Liege setzte.
    »Chatni«, sagte er leise, als er ihren fragenden Blick bemerkte. »Er redet gerade mit einem Chatni.«
    »Er hat ihre Sprache gelernt?«
    Aber das war augenfällig, denn die Sprache, die aus dem Wandlautsprechern erklang, hatte ihren Ursprung bestimmt in keiner menschlichen Rasse gehabt. Reyna konnte sich nicht vorstellen, sie zu sprechen. Und als sie weiter zuhörte, war sie nicht einmal sicher, daß Birnam Rauth sie gut sprach. Seine Worte wiesen einen abweichenden, schärferen Rhythmus auf als die der Chatni. Wenn die Chatni

Weitere Kostenlose Bücher