Sternenseide-Zyklus 3 - Sternenseide
hervorgerufen. Wenn Birnam Rauths Schiff viel weiter vom Waldrand entfernt liegen sollte als ihres, würde das Gerät es nicht wahrnehmen können.
Juaren nickte, sammelte sorgfältig seine Essensreste ein und verstaute sie. »Wenn wir die Strecke zurückfliegen, die wir gekommen sind, aber mehr nach Osten, vielleicht so weit östlich wie unser Schiff liegt ...«
»Dann haben wir den Anfang eines Suchrasters«, stimmte Verra zu. »Und wenn wir heute nichts finden, können wir wenigstens morgen nach diesem Raster weitermachen.«
Aber sie waren noch nicht lange nach Osten geflogen, da wußte Reyna plötzlich, daß sie morgen nicht weitersuchen mußten – zumindest nicht nach dem Schiff Birnam Rauths. Das Anzeigefeld des Gerätes hatte rot zu blinken angefangen, und während sie darauf starrte und sich die plötzlich trockenen Lippen leckte, wurde es leuchtend wie ein Signalfeuer. Ohne nachzudenken, ergriff sie die Enden der gelben Seide, steckte sie weg und unterband die trillernde Stimme. Dann ermittelte sie rasch ihre Position aus dem Sonnenstand und machte sich daran, die gradweisen Kurskorrekturen vorzunehmen.
Es waren nur zwei kleinere Berichtigungen erforderlich. Danach blieb das Blinken an derselben Stelle. Sie engte das Rasterfeld zweimal ein, dreimal, und behielt die Richtung bei.
Es war beinahe enttäuschend, als die Masse ins Zentrum kam und Reyna auf das Schiff hinabsah, das drunten im hohen Gras lag. Es war größer als ihres, seine Form plumper, und seine Konturen waren weniger stromlinienförmig. Der Ort, an dem es lag, stellte das Zentrum eines verlassenen kreisförmigen Gebietes dar, verschlossen gegen Witterung und Zeit. Sah man von dem Gras ab, das an seiner Außenhülle emporwuchs, hätte man annehmen können, daß es an diesem Morgen gelandet wäre. Reyna warf Juaren einen schnellen Blick zu, dann Verra, und merkte, daß sie erwarteten, daß sie zuerst landete.
Sie sank tiefer, streckte die Zehen in den Stiefeln aus und ging im Schatten des Schiffes nieder. Diesmal fühlte sie keinen zum Lachen reizenden Triumph in sich, als sie das Arnimiinstrument ausschaltete. Sie fühlte nur Unglauben.
»Das ... das ist es? Das ist das Schiff?« fragte sie einfältig. Welches Schiff hätte es sonst sein sollen?
»Es ist das richtige Modell, und es trägt die richtigen Bezeichnungen«, versicherte ihr Verra.
Das Schiff Birnam Rauths. Reyna trat vor und legte die Fingerspitzen an seine von der Sonne erwärmte Metallhülle. Das Schiff Birnam Rauths – und sie spürte nichts als unbeteiligte Verwirrung. Das war die Schale, die ihn hergebracht hatte. Aber was konnte sie ihr jetzt noch berichten, ein Jahrhundert später? Und wieso hatte dieses Jahrhundert keine Spuren auf dem metallenen Rumpf hinterlassen? Weshalb harrte das Schiff hier so selbstverständlich aus, als könnte Birnam Rauth am Abend aus dem Grasland zurückkehren? Sie runzelte die Stirn, befreite sich von ihrem Antischwere-pack und ging um das Schiff.
Die Luke ließ sich nur schwer öffnen. Sie war zu lange geschlossen gewesen. Die Scharniere waren gealtert. Aber endlich hatte sie Erfolg; Juaren und Verra traten zur Seite, damit Reyna als erste ins Innere des Schiffes treten konnte.
Unter ihren Füßen war ein weicher Belag, die zu lange im Raum eingeschlossen gewesene Luft roch abgestanden – und es gab Lichter. Sie flammten hell auf, als Reyna durch die innere Schleusentür trat. Zugleich sprach eine vertraute Stimme. Aber ihr Herz setzte nur für einen Schlag aus. Ihre Reise auf der
Narsid
hatte sie gelehrt, daß Wände reden konnten. Und sie erkannte den Tonfall der Worte, die aus verborgenen Lautsprechern erklangen, wenn auch nicht ihre Bedeutung. Ihr Vater hatte sie oft genug am Speisetisch im selben Ton willkommen geheißen.
Ihre Verwunderung ließ sie zögern. Waren es Worte, die Birnam Rauth aufgenommen hatte, um sich selbst zu begrüßen? Oder hatte er damit gerechnet, daß jemand anderes an Bord des Schiffes kommen würde?
Wer 'hätte hier an Bord seines Schiffes kommen können?
Und weshalb war er nicht zurückgekehrt? Zurück zu seiner verwaisten Liege, zurück zu seinen Papieren und vielfältigen Besitztümern, die im Inneren des Schiffes verstreut waren.
Zurück zu all den Gegenständen, deren Zwecke sie ersehen konnte, und all den anderen, von denen sie nicht einmal den Namen kannte. Reyna machte einen bedächtigen Rundgang, um sich einen allgemeinen Eindruck vom Inventar zu verschaffen: ein provisorisch gehefteter Band,
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