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Sternenseide-Zyklus 3 - Sternenseide

Titel: Sternenseide-Zyklus 3 - Sternenseide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
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zurück zum Fluß brächte. Nie wäre sie auf die Idee gekommen, einem anderen Sithi die Beute zu stehlen. Aber es war ein anderer Sithi gewesen, der die Spinner beauftragt hatte, diese Seide herzustellen; und sie hatte sie gestohlen. Sie grollte sich selbst in ihrem Elend und wiegte sich vor und zurück, während die Seide ihr erregendes Lied sang, das voller Sehnsucht nach dem Mond war.
    Allmählich wurde Dariim davon eingefangen; zog die Krallen wieder ein und hörte ruhiger zu.
    Die rote Seide spann eine unbegreifliche Erzählung, ihr Gesang war wortlos und zwingend. Hinter dem Lied hörte Dariim Gefühle heraus, die keinem der Gefühle glichen, die sie kannte; Gefühle, die von einer Intelligenz begleitet waren, die ihr unfaßbar war. Es war eine alte Intelligenz; eine, die durch mehr Jahre hindurch abgeklärt war, als sie sich vorstellen konnte. Aber sie war zugleich ungeduldig, kraftvoll, fordernd und verstimmt.
    Dariim verlor sich so sehr in dem seltsamen Gesang, daß sie nicht bemerkte, wie sich die Seide nach und nach von den Knoten befreit hatte, mit denen sie befestigt worden war. Dariim hatte keine Ahnung, was dort vor sich gegangen war, bis sich die Seide weit entfaltete und vom Schößling fortflatterte, gleitend und schlangengleich auf den Wellen des Mondlichts ritt. Dariim war so erschrocken, daß sie nur mit offenem Maul hinter dem Gewebe herstarren konnte. Das Entsetzen flatterte hilflos in ihrer Kehle und kam in Form eines leisen, überraschten Knurrens hervor.
    Sie raffte ihre Vernunft zusammen, zog die Zunge wieder ein, sprang auf und lief hinter der flüchtigen Seide her. Sie schien ihre Freiheit auszukosten, trudelte und wirbelte im silbrigen Licht, bog sich auf sich selbst zurück, streckte sich sodann wieder zu ihrer vollen Länge aus und glitt davon.
    Sie flog im Zickzack durch das verbrannte Gebiet und führte Dariim dorthin zurück, wo die hohen Bäume standen. Sie wirkte wie ein Strahl der Mitternachtssonne, der auf die hochaufragenden weißen Stämme der Bäume fiel. Dariim rannte hinter ihr her, noch immer zu verblüfft, um etwas anderes als die ersten Anzeichen einer Enttäuschung über den Verlust zu spüren.
    Ihre Seide – sie konnte ihre Seide nicht festhalten. Sie bewegte sich zu rasch und war zu schlüpfrig. Ihre Beine trugen sie nicht schnell genug, und sie konnte nicht hoch genug springen.
    Und die Seide flog in das tiefste Herz des Waldes, wo so alte und hohe Bäume wuchsen, daß sie die Luft verfinsterten; das tiefste Herz des Waldes, wohin jemals zu gehen ihre Mutter ihnen untersagt hatte. Sie wußte, daß die Spinner hier ein und aus gingen, unbeholfen auf kurzen, rosa Beinen daherwackelten, die Augen riesengroß und ausdruckslos, die dürren Leiber weich und verwundbar. Aber kein Sithi erbaute hier ein Nest oder jagte hier. Denn es gab ...
    Dariim lief zwischen den dickstämmigen Bäumen daher, wobei sie darauf achtete, ihre Schritte vorsichtig zu setzen. Eine widerwärtige, vertraute Dunkelheit herrschte hier.
    Die Dunkelheit war wie die in ihren Alpträumen: schwarz, wesenlos und erstickend. Mit gesträubtem Rückenfell stoppte sie ihren Lauf und sah hinter der flatternden roten Seide her. Ihre Muskeln verkrampften sich in dem Jammer, sie unaufhaltsam verschwinden zu sehen, bis sie es plötzlich nicht mehr aushielt, sich wieder auf alle viere fallen ließ und die Verfolgung fortsetzte.
    Der weiche Boden verschluckte das Geräusch ihrer laufenden Füße. Sie lief in völliger Stille und nahm kaum ihr Atmen und das schwache Flattern in ihrem Herzen wahr. Sie verfiel in den ausdauernden Trab der Verfolgungsjagd. Ihr Körper bewegte sich energiesparender, die Sprünge wurden länger, und ihre Lunge arbeitete kraftvoller.
    Und dann war sie im dunkelsten Herzen des Waldes, und die Seide schwang sich immer höher hinauf in die Luft, bis sie im Geäst eines Baumes mit bemoostem Stamm verschwunden war; des höchsten Baumes, den Dariim je gesehen hatte. Abrupt hielt Dariim an und kauerte sich auf die Keulen, um hinaufzustarren.
    Weit oben, wo das Mondlicht durch die dichtwachsenden Blätter schien, erblickte sie die Seide. Sie hatte sich in den oberen Zweigen verfangen.
    Dariim zögerte nur kurz. Krallen waren für vieles gut, und eine ihrer Verwendungsmöglichkeiten war Klettern. Sie fuhr sie aus und sprang an den moosbewachsenen Baumstamm, ohne die Seide aus den Augen zu lassen.
    Sie war knapp ihre dreifache Körperlänge hochgeklettert, als plötzlich ein schriller Schrei vom

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