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Sternenseide-Zyklus 3 - Sternenseide

Titel: Sternenseide-Zyklus 3 - Sternenseide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
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Baum herab erscholl. Er schien aus einem Dutzend Kehlen zu kommen; ein scharfer, durchdringender Zornesschrei. Dariim fröstelte, klammerte sich an den Stamm und sah hinauf.
    Spinner hatten sich auf den unteren Ästen des Baumes aufgestellt; ihre geistlosen Gesichter waren wutverzerrt. Sie fuchtelten mit ihren winzigen Ärmchen und schrien zu Dariim hinab; ihre feurigen Augen funkelten in solcher Vielzahl, daß Dariim sich ganz winzig vorkam. Sie hatte solche Spinner noch nie gesehen, so wütend und bedrohlich. Es überraschte sie, daß Spinner etwas zu tun vermochten, das ihr Furcht einjagte. Aber das Herz flatterte ihr unruhig in der Brust, und ihre Haut kribbelte in dem instinktiven Drang, umzukehren, und fortzulaufen.
    Was hatten die Spinner hier im Herzen des Waldes zu suchen? Was verbargen sie in diesem Baum und was machte sie so ärgerlich über Dariims Eindringen? Waren sie wegen der Seide gekommen, die sie gestohlen hatte? Aber woher wußten sie, daß die Seide in diesem ältesten, größten und am stärksten mit Moos bewachsenen Baum des Waldes unterschlüpfen würde?
    Vor allem, wieso gab es hier so viele von' ihnen? Sie hatte sich nie zuvor über etwas gewundert, was mit den Spinnern zusammenhing. Tatsächlich hatte sie überhaupt noch nie über sie nachgedacht.
    Jetzt erst machte sie sich die Mühe, an die feuchte Rinde geklammert und mit verkrampften Beinmuskeln. Zum erstenmal schien es ihr seltsam, daß diese zarten, einsiedlerischen Geschöpfe die glänzenden Seiden erschaffen konnten, die nachts im Wald sangen. Auch schien es seltsam, daß sie das Plappern nicht verstehen konnte, das zwischen den Spinnern hin und her schwirrte, da die von ihnen geschaffenen Seiden doch leise zu den Sithis in der Sithi-Sprache reden konnten. Es schien sogar merkwürdig, daß sie sich noch nie zuvor Fragen über diese Dinge gestellt hatte. Sie kam sich vor, als hätte sich ihr ein neuartiger und wunderlicher Fra-genkomplex eröffnet.
    Sie verspürte darüber hinaus Widerwillen, höher hinauf in den Bereich der kreischenden Spinner zu klettern. Sie murrte leise vor sich hin, löste ihre Krallen aus der Rinde und ließ sich zu Boden fallen, wo sie auf allen vieren landete. Sie blickte noch einmal den Baum hinauf, dann drehte sie sich um und schlich sich fort, das Geschrei der Spinner im Rücken, deren Zorn die dämmrige Luft verdichtete.
    Sie verzichtete nicht auf ihre sorgfältig gewahrte Würde, bis sie außer Sicht der kreischenden Spinner auf dem Baum war. Dann kauerte sie sich auf die Hinterkeulen und sah zurück, plötzlich niedergeschlagen. Sie war Dariim, Tsuukas Tochter. Sie war schnell, geschickt und stark. Eines Tages würde sie die beste Jägerin in diesem Teil des Waldes sein. Aber heute nacht war sie so rasch wie ihre Vorfahren gelaufen und hatte ihr Opfer nicht eingeholt. Die Seide hing noch immer in den obersten Zweigen des Baumes. Sie konnte ihren Gesang durch das schwächer werdende Gekeif der Spinner hindurch hören.
    Ihre Seide. Sie war als Halbwüchsige zu jung, um mit einer Seide zu reden, und die Seide war zu wild, um sich zähmen zu lassen. Aber sie war ihre Seide.
    Zuerst jedoch mußte sie noch die Antworten auf eine Menge Fragen finden, und sie hatte keine Ahnung, wo. Langsam ging sie auf das Nest ihrer Mutter zu. Nach einer Weile hörte sie das schrille Geschrei der Spinner und den Gesang der Seide nicht mehr. Sie vernahm nur noch den Klang ihrer Schritte auf dem weichen Boden und irgendwo weit entfernt den unheilvollen Schrei eines Grummlers. Sie schauderte und begann zu laufen.
     

6 Reyna
    Reyna erwartete einen Aufruhr der Gefühle, als sie Brakrath an der Backbordseite der Fähre wegkippen sah; als der Palast und die blühenden Felder zusammenschnurrten und die Arbeiter wie umherkrabbelnde Insekten wirkten – als die Wolken schließlich zu dünnen Gebilden und die Berge zu Winzlingen mit Schneekappen wurden, durch die Entfernung von Mächtigkeit und Legenden entblößt.
    Sie war gespannt zu sehen, was niemand von ihren Leuten je gesehen hatte. Dankbar gegenüber den Arnimis, daß sie der Forderung ihrer Mutter zugestimmt hatten, den Transport zu bewerkstelligen. Erleichtert, daß der Rat die Reise nicht unterbunden hatte – und daß Verra es gewesen war, und nicht irgendein anderer Arnimi –, die schließlich abgestellt worden war, um sie beide zu begleiten. Neugierig, wohin Juaren an jenem Tag gegangen war, nachdem sie sich in Khiras Gemächern getroffen hatten. Er hatte sie verlassen,

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