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Sternenseide-Zyklus 3 - Sternenseide

Titel: Sternenseide-Zyklus 3 - Sternenseide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
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Gestern hatte sie sich gekleidet, um die Fragen aus tausend Augen zu beantworten, und es hatte damit geendet, daß sie sich klein vorkam. Heute war ihre Stimmung anders. Heute, beschloß sie, würde sie sich kleiden, um ihre eigenen Fragen zu beantworten.
    Rasch betrat sie ihre Kabine. Sie arbeitete flink, kämmte sich das Haar zurück und flocht es zu einem losen Zopf, wie sie ihn manchmal beim Trainieren getragen hatte. Danach begutachtete sie sich erneut kritisch in dem kleinen Spiegel und rieb die schwachen Überreste grüner Tusche mit einem feuchten Tuch fort. Endlich nahm sie die weiße Singseide herab und band sie sich um die Taille.
    Sie hielt inne, ruhte sich eine Weile aus und ließ das kühle Gewebe durch die Finger gleiten. Ein seidiger Zauber war in dem weißen Tuch, sogar wenn es schwieg. Es schien an ihrer Taille zu schmelzen und sich an ihren streichelnden Fingern zu wärmen.
    Und es erinnerte sie daran, daß sie nicht an Bord der
Narsid
gekommen war, um gesehen zu werden. Sie war nicht an Bord gekommen, um die unausgesprochenen Fragen Fremder zu beantworten; egal, wie Verras Bewertung der Situation aussehen mochte. Sie war nur zu einem Zweck hier: um
    zu der Welt gebracht zu werden, von der die Seide stammte.
    Wenn es Fragen an Bord der
Narsid
zu beantworten gab, dann waren es ihre eigenen. Und wenn die Leute in den Korridoren sie ansahen und ein Kind erblickten, dann sahen sie eben ein Kind. Sicherlich hatten sie schon zuvor Kinder gesehen.
    Die Kraft ihrer Entscheidung trug sie voran, aus der Tür der Suite hinaus. Sie hielt nicht inne, als sie hörte, daß Verrat Tür aufging, und als sie Verras überraschte Frage vernahm.
    Es gab viele Orte auf der
Narsid,
zu denen Verra sie nicht geführt hatte. Sie entdeckte dies, als ihre Füße sie durch die verzweigten Flure trugen. Es gab ein paar kleinere Eßbereiche, die sie zuvor nicht gesehen hatte; die Gerüche, die aus den benachbarten Küchen drangen, waren jedoch so widerwärtig, daß sie sich nicht aufhielt, um sich davon zu überzeugen, was auf den Tischen serviert wurde. Hier aßen Leute, so vermutete sie, deren Essen derart abscheulich war, daß die übrigen Leute an Bord keinen Wert darauf legten, es zu sehen oder zu riechen.
    Es gab kleine Gartenräume, einige waren kalt und trocken, andere bedrückend feucht und warm. Reyna sah sich in jedem von ihnen um, erschnupperte die Luftzusammensetzungen und fragte sich, welche Welten jeweils simuliert werden mochten.
    Später entdeckte sie einen großen Raum, der von lodernden orangefarbenen Lampen erleuchtet wurde. Langgliedrige Leute lagen dort auf dünnen Matratzen auf dem Boden und nahmen die Hitze auf; ihre dunkle Haut glühte wie frisch verbrannt. Einmal stieß sie auf einen Raum, der vollständig mit Dampf erfüllt war. Sie trat durch die erste der Doppeltüren und entfloh sogleich erschrocken, als sie düstere Schatten sich in dem Dampf bewegen sah. Entsetzt lief sie fort, bevor jemand sehen konnte, wie ängstlich sie war. Aber vielleicht hatten andere Leute auch diese Alpträume.
    Zweimal, in verschiedenen Korridoren, wurde sie von Hauuniformierten Wachtposten aufgehalten. Einmal hörte sie vom entfernten Ende eines Flures her Kinderstimmen. Sie ging widerwillig zurück; sie machte sich klar, daß sie einen Wohnbereich der Mannschaft betreten hatte, und wünschte sich, in die geschlossenen Quartiere blicken zu können, um zu sehen, wie die Leute lebten, die auf der
Narsid
arbeiteten.
    Endlich – die grellen Lichter begannen, ihr in den Augen weh zu tun, und die trockene Luft ließ ihre Kehle schmerzen fand sie einen dämmrigen Raum, in dem Dutzende kleiner Bildschirme in Wandnischen eingelassen waren. Leute saßen jeder für sich davor, und rasch wechselnde Szenen erschienen auf den Schirmen. Reyna schlüpfte unauffällig in den Raum und sah zu. Nach einer Weile entdeckte sie, daß die Leute die Szenen, die sie zu sehen wünschten, auswählten, indem sie an die zentrale Konsole gingen und dort auf farbige Knöpfe drückten.
    Waren das die Bänder, die Verra erwähnt hatte? Nachdem noch eine Weile zugesehen hatte, ging Reyna zu der Konsole und drückte eine zufällige Folge der farbigen Knöpfe. Einen Augenblick darauf glitt ein undurchsichtiger Würfel aus einer engen Rutsche in ihre Hand. Sie blickte sich schnell um, um zu sehen, ob jemand sie beobachtete. Aber die Leute schienen zu sehr mit ihren Schirmen beschäftigt, um ihre Unentschlossenheit wahrzunehmen. Sie zuckte mit den Achseln,

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