Sternenseide-Zyklus 3 - Sternenseide
ab. »Das ist das Unwichtigste von dem, was ein Jäger lernt. Warum, glaubst du, gibt es so wenige von uns? Der Meister hat niemanden außer mir trainiert, ebenso wie er der einzige war, den sein Meister trainiert hat. Es gibt nicht viele, die bereit sind, zu leben, wie ein Jäger lebt. Wir verlangen Preise für unsere Felle, aber wir zahlen auch einen Preis dafür, mußt du wissen.«
Sie wich zurück; die steinerne Kühle seines Gesichtes ließ sie sich fragen, welchen Preis er bezahlt hatte; wieviele Winter hindurch er die Beute in den Bergen verfolgt hatte, während die Menschen in deren Schutz geschlafen hatten.
Ebenso, wie sie heute nacht im Schutz der
Narsid
geschlafen hatten. Reyna preßte ihre Schläfen; ihre Hände begannen
beben – wie die eines Kindes. Sie versuchte, die Kontrolle über ihre Reaktionen wiederzugewinnen – vergeblich. Es gab einen Grund dafür; denn was war sie sonst, wenn nicht ein Kind? Weshalb hatte sie sich wie eine Frau gekleidet und bemühte sich, Juaren zu verstehen, wo sie sich heute abend kaum selbst verstand? Kein Wunder, daß sie nicht reden konnten, ohne sich ständig mißzuverstehen. Sie waren heute zu weit gereist. Sie hatten einen zu großen Schritt gewagt, von ihrer Heimat zu den Sternen. Er war bestimmt so furchtsam wie sie, obwohl möglicherweise aus anderen Gründen,
»Ich bin müde«, sagte sie, ließ den Kopf sinken und berührte die Schläfen mit den Fingern.
Für einen Augenblick schien es, als rühre ihre Geste ihn an. Beinahe unwillkürlich streckte er die Hand aus. Aber im letzten Moment zog er sie wieder zurück.
»Ich bin auch müde«, sagte er unbeholfen und drehte sich um; dann eilte er über den durchsichtigen Boden und die Bogentür hinaus. Der Vorhang aus Plastikketten raschelte kurz hinter ihm und hing wieder bewegungslos.
Reyna sah benommen und verständnislos hinter ihm her. Sie hatten nicht gestritten, aber sie wünschte fast, sie hätten es getan. Dann hätte er sich vielleicht verraten. Vielleicht hätte er sich ihr anvertraut. Wie konnte sie auch nur ahnen, wo seine empfindlichen Stellen waren, wenn er ihr nicht erlaubte, sich ihm zu nähern? Wenn er jeden ihrer Versuche, etwas über ihn zu erfahren, wie etwas behandelte, vor dem er sich schützen mußte?
Erschöpft und verwirrt wandte sie sich wieder dem Fenster zu. Aber es war ihr nicht länger möglich, die schimmernden Sterne zu betrachten, ohne erneut eingestehen zu müssen, wie winzig ihre Welt war und wie schwach ihre Sonne. Allmählich füllten sich ihre Augenwinkel mit Tränen. Sie wischte sie ärgerlich fort.
»Ich möchte zu Bett gehen«, sagte sie.
»Tu das nur«, stimmte Verra zu. »Der Tag war lang.«
Und es würde noch mehr lange Tage geben, befürchtete Reyna. Ihre Heimat war weit fort. Viele lange Tage lagen zwischen heute und dem Tag, an dem sie zurückkehren würde. Sie wischte sich nochmals die Augen, dann wandte sie sich um und folgte Verra.
7 Reyna
Reyna erwachte, als ihr Magen ihr mitteilte, daß es Morgen war, blieb noch eine Weile liegen und starrte auf die Wände Ihrer Kabine. Sie entdeckte darauf nicht mehr als in der vorigen Nacht. Sicherlich wiesen sie ihr keine Methode auf, wie sie lernen konnte, mit Juaren zu reden. Vielleicht irrte sie, wenn sie glaubte, es überhaupt zu können. Immerhin war sie eine Palasttochter und aufgezogen worden, an nichts zu denken, als an das Terlath-Tal und an den Dienst, den es eines Tages von ihr verlangen würde.
Er war ein Jäger. Er hatte ein Leben außerhalb der Täler gewählt; ein Leben in der Einsamkeit. Möglicherweise würde sie ihn nie verstehen. Möglicherweise würde er ihr niemals vertrauen.
Angenommen, es wäre so, was konnten sie tun? Einfach Ohre Distanziertheit beibehalten? Immerhin hatten sie Brakrath gemeinsam verlassen und waren demselben Zweck verpflichtet. Bald würden sie gemeinsam die Füße auf eine unbekannte Welt setzen. Wenn sie sich doch nur vorher unterhalten könnten, wenn sie eine gewisse Verständigung erzielen könnten ...
Vielleicht, so hoffte sie, könnten sie sich heute morgen unterhalten. Aber als Reyna den ihnen gemeinsam zugeteilten Raum betrat, stand Juarens Tür offen, und seine Kabine war verwaist.
Reyna zögerte und sah sich im Raum um. Die gemalte Sonne, die gewundenen Ranken, Wände, die sie unbarmherzig einzuschließen schienen ... Wohin immer Juaren gegangen war, sie hatte keine Lust, hier auf ihn zu warten.
Kurz betrachtete sie sich kritisch in dem kleinen Spiegel.
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