Sternenteufel
Licht. Sühne ist nötig, aber man kann auch auf andere Weise sühnen und so seine Schuld wirklich wiedergutmachen. Indem wir uns für unsere selbstsüchtige Art von Sühne entschieden, haben wir das ursprüngliche Unglück nur noch um ein Vielfaches verschlimmert und keinem eine Chance gegeben, es zu vergessen und neu aufzubauen. Weshalb wurde uns das denn nicht bewußt?« endete sie leidenschaftlich.
»Weshalb haben wir nicht eingesehen, daß wir im Staub und Schmutz liegen, weil wir zuließen, daß die Vergangenheit uns begrub?« erwiderte Stans. »Wir brauchten die Yurth nicht für einen Neuaufbau. Doch keiner von uns griff nach dem ersten Stein, um das Fundament zu setzen. Auch wir aus dem Hause Philbur waren in unserem Stolz erstarrt. Wir blickten nur zurück und suchten Rache für das, was uns von unserem Thron stürzte. Wir waren blind und tasteten mit einer Binde über den Augen um uns.«
»Wir waren ebenfalls blind, doch wir versuchten gar nicht, um uns zu tasten«, sagte Elossa bitter. »Ja, wir haben Fähigkeiten, doch wir benutzten sie nur in geringem Maß. Was könnte hier alles wachsen, würden wir sie zu einem guten Zweck einsetzen!« Es war, als erwachte sie aus schwerem, durch unnatürliche Mittel herbeigerufenem Schlaf, in dem sie ihr ganzes Leben zugebracht hatte, und sah nun zum erstenmal klar, sah die Möglichkeiten, die genutzt werden konnten. Aber sie war nur eine ihres Volkes. Die Tradition war wie eine dicke Mauer, die sich nicht von einem allein niederreißen ließ.
»Wohin gehen wir von hier? Und was sollen wir tun?« Sie wußte es nicht. Diese unerwartete Einsicht mochte eine neue schwere Last sein.
»Ja, diese Frage müssen wir beide uns stellen.« Die innere Erregung war aus ihm gewichen, als er sie anblickte. »Die Blinden sind vielleicht gar nicht so erfreut, wenn sie plötzlich sehen können. Sie müssen es selbst wollen, oder es wird sie mit Furcht erfüllen. Und Furcht nährt Grimm und Mißtrauen. Eine zu große Kluft liegt zwischen unseren Völkern.«
»Eine, die nie überbrückt werden kann?« Sie fühlte sich verloren. Es war ein ähnliches Gefühl wie das, das sie empfunden hatte, als die Yurth auf dem Schirm Abschied von den Sternen nahmen. Sollten sie für immer in diesem engen Gefängnis ihrer mißverstandenen Verantwortung sitzen?
»Nur, wenn Yurth und Raski frei miteinander sprechen können und bereit sind, die Vergangenheit zu begraben.«
»So, wie wir es hier tun?«
Stans nickte. »So, wie wir es tun.«
»Wenn ich«, sagte sie nachdenklich, »zu meinem Clan zurückkehre und erzähle, was geschehen ist, bin ich mir nicht sicher, daß man mich mit offenem Geist anhören wird. Es gibt Illusionen hier. Wir lernten sie beide kennen, litten unter ihnen und kämpften gegen sie. Jene, die die Pilgerung vor mir machten, müssen Ähnliches erlebt haben. Deshalb könnte man sagen, daß ich unter einer subtileren und tödlicheren Illusion leide. Und«, sie war nun völlig ehrlich, nicht nur zu ihm, sondern auch sich selbst, »das werden sie auch sagen, glaube ich. Zumindest jene, die die Pilgerung hinter sich haben und das Geheimnis dieses Ortes kennen.«
»Wenn ich«, sagte nun Stans, »zu meinen Leuten zurückkehre und auf eine Zusammenarbeit mit den Yurth drängte, wird man mich töten.« Seine Worte waren ohne Pathetik, aber Elossa zweifelte nicht an ihrer Wahrheit.
»Doch wenn ich zurückkehre und mein Wissen nicht teile«, fuhr nun sie fort, »verrate ich jenen Teil meines Ichs, der der tiefste und beste ist, denn ich bestätige eine Lüge, der ich mit der Wahrheit zumindest hätte gefährlich werden können. Wir können nicht lügen und Yurth bleiben. Das gehört ebenfalls zu der Bürde, die der Obersinn auferlegt.«
»Und wenn ich zurückkehre und sterben muß, weil ich die Wahrheit gesprochen habe …« Stans lächelte schwach. »Wie könnte das meinem Volk nutzen? Es sieht ganz so aus, als müßten wir wider Willen lügen, Lady Elossa. Und wenn es stimmt, daß du nicht lügen kannst, bist du noch schlimmer dran als ich.«
»Die Berge hier«, murmelte Elossa überlegend. »Ich kann allein leben. Und wir Yurth brauchen keine weichen Betten und kommen mit karger Nahrung aus. Wer weiß, was in der Zukunft liegt? Vielleicht werden andere nach uns auf Pilgerung ebenso klar sehen? Eine Handvoll genügt vielleicht schon. Aus winzigen Samen wachsen mächtige Bäume.«
»Du brauchst nicht allein hier zu leben. Unsere eigene Einsicht ist noch nicht alt. Vielleicht
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