Sternenteufel
Sorgen und Verzweiflung abzuladen, die ihre Gedanken gelähmt hatte.
»Was hier geschah, liegt sehr lange zurück. Nicht in ein paar Jahren vermag die Natur Ruinen so zu überwuchern – noch dieses Schiff so tief zu vergraben. Weshalb hat euer Volk den Weg nach oben nicht wieder gefunden? Sie leben in ihren Lehmhütten, fürchten alles, was nicht so ist wie sie, und sie versuchen auch nicht, anders zu sein.«
Er runzelte finster die Stirn. Seine Lippen öffneten sich, als wollte er sie in seiner aufsteigenden Wut niederbrüllen. Doch dann lösten sich seine zur Faust geballten Finger.
»Warum?« echote er.
Der Moment des Schweigens zwischen ihnen hielt diesmal länger an. Sein durchdringender Blick war von ihr zum Schirm gewandert, der hinter ihrem Rücken nun stumpf schimmerte.
»Darüber habe ich nie nachgedacht …« Seine Stimme war jetzt viel leiser, die Wut verklang. »Warum? Weshalb versanken wir im Morast und blieben dort? Weshalb beugen die Menschen sich einem Könighaupt wie Galdor, der kein anderes Interesse kennt, als sich den Bauch zu stopfen und nach einer Dirne zu greifen. Warum?«
Sein Blick ruhte wieder auf ihr. Eine Wildheit sprach aus ihm, als wolle er ihr die Antwort mit Gewalt entringen.
»Das mußt du die Raski fragen«, mahnte ihn Elossa, »nicht die Yurth.«
»Ja, die Yurth!«
Sie hatte einen Fehler begangen, indem sie seine Aufmerksamkeit wieder auf sich gelenkt hatte. Trotzdem war der Grimm in ihm nicht mehr so stark.
»Was habt ihr Yurth?« Er beobachtete sie wachsam, als erwartete er jeden Augenblick eine Waffe an ihr. »Was habt ihr, das wir nicht haben? Ihr lebt in Höhlen und geflochtenen Hütten, haust nicht besser als Rogs und Sargons. Ihr tragt grobe Kleidung wie unsere einfachsten Feldarbeiter. Rein äußerlich ist nichts Bemerkenswertes an euch – nichts! Doch wenn ihr unter uns seid, hebt kein einziger, und mag er noch so voll Haß auf euch sein, eine Hand gegen euch. Ihr wirkt Zauber. Lebt ihr in diesem Zauber, Yurth?«
»Wir könnten es, aber ziehen vor, es nicht zu tun. Wenn einer sich selbst betrügt, verliert er alles.« Nie zuvor hatte Elossa zu einem Raski gesprochen, außer über Unbedeutendes. Was er sagte, gab ihr zu denken. Sie blickte sich in dem kreisrunden Raum um.
Er war von Yurth geschaffen, den Vorvätern der Yurth, die jetzt, wie Stans sehr richtig bemerkt hatte, in Höhlen und Hütten viel primitiver als die Raski lebten. Sie trug selbstgesponnene und -gewebte Kleidung, die grob und von einem eintönigen Graubraun war. Sie hatte weder sich selbst noch ihresgleichen je richtig betrachtet, sondern alles, wie es war, eben als gegeben erachtet. Ja, zum erstenmal machte sie sich nun darüber Gedanken. Ihr Leben war bewußt streng und hart. War es Teil der Strafe, die die Yurth sich selbst auferlegt hatten?
Die gleiche Zeit war für Yurth und Raski vergangen. Genausowenig wie die Raski das Verlorene wiedergewonnen hatten, hatten die Yurth etwas unternommen, ihre Strafe zu erleichtern. Sollten beide Rassen für immer so weiterleben?
»Sich selbst betrügen?« Stans unterbrach ihre Gedanken. »Was ist Selbstbetrug, Yurth? Sagen wir Raski uns innerlich, daß uns unsagbar Großes genommen wurde und wir gar nicht wagen können, uns wieder zu solchen Höhen zu erheben? Ist das unser Selbstbetrug? Wenn es so ist, wird es Zeit, daß wir uns der Wirklichkeit stellen und nicht vor ihr fliehen. Und ihr, Yurth – die ihr die Sterne gehabt habt – sollt ihr für immer dafür büßen, daß einer eures Blutes einst einen unbeabsichtigten Fehler begangen hat?«
Elossa holte tief Atem. Er hatte sie aufgerüttelt. Die Yurth hatten durch das Erwachen des Obersinns viel gewonnen, aber vielleicht war das alles, was sie glaubten, vom Leben erwarten zu können? Jetzt war sie an der Reihe, ihre Überlegungen zu äußern.
»Hast denn du dir jemals zuvor diese oder ähnliche Fragen gestellt, Stans aus dem Haus Philbur?«
Er blickte immer noch finster drein, aber seine Miene galt nicht ihr. Sie war überzeugt, daß er über Dinge rätselte, mit denen er sich nie zuvor befaßt hatte.
»Das habe ich nicht, Yurth.«
Sie ärgerte sich über diese Art von Anrede. »Mein Name ist Elossa, und da wir keine Familien kennen, wie ihr sie habt, fügen wir auch nicht den Namen des Geschlechts an.«
Er blickte sie überrascht an. »Ich dachte, daß die Yurth nie ihren Namen offen nennen.«
Jetzt war sie überrascht. Was er sagte, stimmte. Sie kannte keinen Yurth, der sich je so
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