Sternenzauber
Fluss hätte.
Ja, es sah vielversprechend aus. Der Geländewagen wandte sich nun von der Neubausiedlung ab und beschleunigte auf
engen Straßen mit hohen Hecken und einem überhängenden Gewirr von Ästen. Es war eine einsame ländliche Gegend, wie Clemmie von Picknicks an heißen Tagen vergangener Jahre gut wusste. Sehr nahe am Fluss. Es gab doch wohl kaum irgendwelche Bürogebäude außerhalb von Winterbrook! Das war ein reiner Grüngürtel. Hier draußen bekäme bestimmt niemand die Erlaubnis, irgendein gewerbliches Gebäude zu errichten.
Clemmie, die eben noch zu Kasabian im Radio mitgesummt hatte, stutzte. Was, wenn die Blonde nun doch nicht so nett war, wie sie zu sein vorgab? Die Dame hatte zwar gesagt, es ginge um nichts Anrüchiges, aber vielleicht wollte man sie mit dem wahren Treiben dieser Firma überrumpeln? Wenn sich hinter der Fassade von Nummer 19 in Wirklichkeit die Pornoindustrie verbarg? Oder womöglich sogar noch Schlimmeres? Wenn man sie an irgendeinen verlassenen Ort lockte, um sie dort zu betäuben, zu fesseln und zu knebeln, um sie dann auf dem weißen Sklavenmarkt zu verschiffen? Was, wenn …?
Der Geländewagen war hinter einer scharfen Kurve verschwunden, und da sie nicht umkehren konnte, fuhr Clemmie ihm nach, inzwischen jedoch ziemlich fest entschlossen, bei der nächstbesten Gelegenheit zu wenden und die Flucht zu ergreifen.
»Oh – wow!«
Der Geländewagen war auf einer gekiesten Auffahrt vor einem ausladenden zweistöckigen Bootshaus aus hellen Backsteinen stehen geblieben, das liebevoll renoviert zum Wohnhaus umgebaut worden war und auf einer kleinen Landzunge stand. In den Sprossenfenstern, eingerahmt von jahrhundertealten knorrigen Glyzinienranken, spiegelten sich die gekräuselten Wellen des Flusses, der das Bootshaus auf drei Seiten umgab, zur Linken schäumend hinter einem kleinen Wehr verschwand und zur Rechten am lehmigen Ufer tanzte und um
die herabhängenden Äste von Weidenbäumen strudelte. An der Rückseite des originellen Gebäudes, mutmaßte Clemmie, hatte man sicher ungehinderten Zugang zum Fluss, vielleicht über eine Gleitbahn auf abschüssigem Rasen und – was auch immer diese Firma hier tat – es war offenbar gutes Geld damit zu machen.
»Da wären wir!« Die Blonde war aus dem Geländewagen gesprungen und strahlte Clemmie an. »Na, was meinst du?«
Clemmie kletterte aus dem Peugeot und beschloss, ihre vorigen Gedanken über das Sexgewerbe nicht zu erwähnen. Dennoch nahm sie, nur für alle Fälle, ihre Autoschlüssel und ihr Handy fest in die Hand.
»Ich finde es einfach herrlich. Sind hier wirklich die Büroräume?«
»Die Büroräume sind im Haus, Werkstätten und Lagerräume dort drüben.«
Mit einer ausholenden Bewegung ihres pelzbemäntelten Arms zeigte die blonde Frau auf die roten Ziegeldächer einiger ebenso schmucker Nebengebäude, die hinter den wehenden Weidenzweigen undeutlich zu erkennen waren. »Traumhaft, nicht wahr?«
Allerdings. Clemmie fand, dass sie noch nie etwas so Schönes gesehen hatte. Wenn es hier an einem kalten und grauen Oktobertag schon so zauberhaft war, musste es im Sommer ja direkt atemberaubend sein.
»Komm, wir gehen hinein.« Die Frau stöckelte mit ihren hochhackigen Stiefeln über den Kies und holte einen Haustürschlüssel hervor. »Drinnen bekommst du erst einen richtigen Eindruck.« Sie öffnete die Tür und trat beiseite. »Nach dir.«
Clemmie trat in eine großzügige Diele, in der es nach der Kälte draußen wunderbar warm und kuschelig war. Mit glänzendem Fußboden und Wänden aus echtem Holz, einem antiken
Garderobenständer, einer mit Zeitungen, alten Briefen und dem üblichen Alltagskrimskrams beladenen Kommode und beherrscht von einer großen dunkelroten Vase mit bunten Herbstlaubzweigen, wirkte der Raum gemütlich, komfortabel und sehr behaglich. Ebenso die anderen Räume, die sie durch mehrere offene Türen erspähte, als die Blonde sie in den hinteren Teil des Hauses führte. Verschwommene Bilder von großen, bunt zusammengewürfelten Sesseln, Unmengen farbenfroher Kissen und einer Ansammlung polierter antiker Möbel huschten an ihren Augen vorüber.
»Und hier wirst du arbeiten.« Die blonde Frau öffnete eine getäfelte Eichentür. »Immer vorausgesetzt natürlich, es gefällt dir bei uns. Es ist ein nettes kleines Büro mit Blick auf den Fluss – nun, natürlich gibt es hier kaum einen Raum ohne Blick auf den Fluss -, modernste Büroausstattung mit allem Schnickschnack steht auch zur
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