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Sternhagelgluecklich

Sternhagelgluecklich

Titel: Sternhagelgluecklich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Koch
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bringen die Ihnen schon bei!«
    Der ist ja optimistisch! Ich bezweifle, dass ein paar gestandene Skatbrüder sich sonderlich freuen, wenn ihnen plötzlich ein planloser Jungspund an den Tisch gesetzt wird, dem sie in den nächsten Wochen erst mal mühsam Regeln und Spielstrategien beibringen müssen. »Ich dachte eher an Vorlesen«, sage ich und versuche, ihn gedanklich vom Kartentisch wegzubringen.
    »Ach, da finden wir sicher auch jemanden«, sagt der Seniorenheimchef und geht mit mir in einen der sogenannten Wohnbereiche.
    Mein erster potenzieller Patensenior hat schon mal gar keine Lust auf mich. »Was will der?«, fragt er. »Ach nee, muss nicht sein …«
    Das geht ja gut los! Spüre ich etwa ein gewisses Misstrauen? Vielleicht ist die Lieblingssendung des alten Mannes »Aktenzeichen XY«, und er hält mich für einen Erbschleicher oder sonstigen Betrüger.
    Der nächste Versuch ist erfolgreicher. Frau Knapp, zweiundneunzig, sitzt im Rollstuhl und kann so gut wie nichts mehr sehen. Vorgelesen bekommen will jedoch auch sie nicht. »Das ist doch nüscht!«, sagt sie geradeheraus. »Vorlesen ist mir viel zu langweilig. Ich hab doch mein Radio! Aber vielleicht können Sie mich hin und wieder zum Supermarkt und zur Apotheke zum Einkaufen bringen?«
    Darauf können wir uns einigen. Hauptsache kein Skat.
    Die Dicke und die Bohnenstange
    Frau Knapp und ich lernen uns also kennen. Oder besser: Sie erzählt, und ich höre zu. Aber so soll es auch sein. Seit anderthalb Jahren ist sie hier im Heim, vorher hat sie alleine in Berlin-Wedding gelebt. Früher hatte sie mit ihrem Mann dort eine Metzgerei, seit 1988 ist sie verwitwet, ihre beiden Söhne leben in Berlin, sind auch schon im Rentenalter.
    Nach einer kurzen Phase des höflichen Geplänkels kommt heraus, dass Frau Knapp ganz gut lästern kann: »Die Dicke wollte mir heute keinen Kaffee geben«, sagt sie mit einer Kopfbewegung in Richtung einer der Pflegerinnen. Den großgewachsenen Heimleiter nennt sie nur die Bohnenstange. Dabei gluckst sie vergnügt. »Ich meckere nicht«, sagt sie, wenn sie gerade mal wieder über das Essen, die anderen Bewohner oder ihre Kinder hergezogen hat. »Ich stelle nur fest.«
    Wir trinken Kaffee, und Frau Knapp erzählt mir von ihrem Leben im Seniorenheim. Vom Geisteszustand der anderen Bewohner (»Die meisten sind schon senil. Aber ich? Ich krieg noch alles mit!«) und von den Pelzmänteln, die sie früher hatte. (»Keine Ahnung, wo die sind, ich glaube, meine Kinder haben alles weggegeben.«) Ich muss lachen, wenn sie Sachen sagt wie »Dieser Strolch!« oder von »der Männerkrankheit« spricht – was sie genau damit meint, ist mir nicht ganz klar, genauer nachfragen möchte ich aber auch nicht.
    Nach gut einer Stunde verabschiede ich mich, und Frau Knapp begleitet mich zum Lift. Als sie auf dem Flur eine andere Frau sieht, stöhnt sie: »Oh, die schon wieder!«, verabschiedet sich hastig, und schon ist sie mit ihrem Rollstuhl erstaunlich schnell und behände davongerollt.
    Als die andere ältere Dame das sieht, fährt sie Frau Knapp hinterher. »Bleibst du wohl stehen?«, ruft sie ihr nach.
    »Ich muss zur Toilette!«, antwortet Frau Knapp über die Schulter hinweg.
    »Immer wenn du mich siehst, musst du auf die Toilette!«, kommt die beleidigte Antwort.
    »Ich komm doch wieder raus«, ruft Frau Knapp unwirsch.
    Belustigt beobachte ich das Rollstuhlrennen in Zeitlupe über den langen Flur, dann schließt sich die Aufzugstür.
    Auf dem Nachhauseweg stellt sich tatsächlich ein Glücksgefühl ein. Die Sonne lacht mir zu, die Passanten scheinen mich wohlwollend anzusehen, und mir ist nach Tanzen zumute. Auf diesen Glücksschub hatte ich schon gehofft, als ich bei der Freiwilligenagentur war, jetzt ist er tatsächlich da. Es ist gar nicht so sehr ein edelmütiges Gefühl von Großherzigkeit. Ich freue mich einfach darüber, einen lustigen Nachmittag verbracht zu haben. Ein wenig Stolz ist natürlich auch dabei. Aber ich fühle mich weniger, als hätte ich durch den Besuch ein Opfer gebracht. Frau Knapp hat mich vielmehr von meinen eigenen Problemen abgelenkt. Angesichts eines fast blinden Menschen, der im Rollstuhl sitzt, wird der Kollege, der beim letzten Telefonat »irgendwie schnippisch« war, plötzlich sehr schnell sehr trivial.
    Darüber hinaus macht es froh, wenn man sieht, dass jemand, der schon alt und gebrechlich ist, trotzdem noch seinen Humor behalten hat. Dass man gemeinsam lachen kann und das Alter etwas weniger gruselig

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