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Sternhagelgluecklich

Sternhagelgluecklich

Titel: Sternhagelgluecklich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Koch
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wirkt.
    Als der zweite Besuch ansteht, ist das alles schon wieder weit weg. Mein erster Reflex ist es, mich vor dem Termin zu drücken. Habe ich dafür wirklich Zeit? Wie lange allein schon die Fahrt dauert! Was bringt das denn überhaupt? Komme ich aus der Sache irgendwie wieder raus?
    Ich schäme mich für die Gedanken, die mir durch den Kopf gehen.
    Letztlich mache ich mich doch auf den Weg. Es ist wie beim Sport: Danach fühlt man sich gut und nimmt sich vor, die Trainingsklamotten bis zum nächsten Mal nicht so lang im Schrank zu lassen. Aber wenn es dann so weit ist, ist all die Erkenntnis vergessen und das Jammern und das Suchen nach Ausreden doch wieder groß.
    Warum haben wir bloß ein so schlechtes Gedächtnis für die Dinge, die uns glücklich machen?
    Und es macht mich tatsächlich auf eine unerklärliche Art glücklich, Frau Knapp in ihrem Rollstuhl durch die Straßen zu schieben, mit ihr über das Wetter, das Königshaus von Monaco und Hertha BSC zu reden. Vielleicht auch, weil sie mir nachsieht, dass ich von dem ersten nur wenig und von den beiden anderen Themen rein gar nichts verstehe.
    Wir entwickeln schnell eine gemeinsame Routine: »Meine Güte, ist das ’ne tote Ecke hier«, kräht sie Woche für Woche, wenn wir durch die leere Straße rollen, in der das Altenheim liegt. In der Apotheke wird Baldrian gekauft, im Grill an der Ecke zwei halbe Hähnchen – eins für Frau Knapp, eins für die Nachtschwester. In manchen Wochen kommt noch ein Sondereinkauf dazu wie eine Bluse »bei den Chinesen«, wie Frau Knapp das asiatisch geführte Geschäft für Damenoberbekleidung nennt, oder ein Paar Socken in der Drogerie, die Frau Knapp »Droscherie« ausspricht und in der sie jedes Mal den Kopf über das Sortiment schüttelt: »Was die alles haben? Badesalz und Wein und Regenschirme? Das ist doch verrückt!«
    Manchmal kaufen wir auch ein Heft mit Kreuzworträtseln für eine von Frau Knapps Nachbarinnen oder eine Schachtel Zigaretten für einen der Pfleger. Ich ertappe mich gelegentlich dabei, wie ich ihr raten will, ihr Geld zusammenzuhalten, statt es für andere auszugeben. Doch dann merke ich, wie viel Freude ihr beides macht: sich selbst etwas zu kaufen – aber eben auch ihren Nachbarinnen.
    Einerseits machen mich die Besuche fröhlich, denn man kann mit Frau Knapp gut lachen. (»Fragt mich die Schwester heut Morgen, ob ich noch im Bett bin. Sag ich, na, wo soll ich denn sonst sein?«) Gleichzeitig führen mir die Besuche auch vor Augen, wie hilflos und unselbstständig man im Alter wird. Kann man überhaupt glücklich sein, wenn man den Rollstuhl nicht mehr verlassen und sich nicht einmal mehr alleine ein halbes Hähnchen kaufen kann?
    Mein guter Freund und geschätzter Kollege Mathias Irle hat ein ganzes Buch darüber geschrieben, welche unglaublichen Anpassungsleistungen Menschen im Alter vollbringen. Und wie sie es durch diese Anpassung schaffen, trotz immer stärkerer Einschränkungen und dadurch objektiv sinkender Lebensqualität beinahe nichts von ihrer Zufriedenheit und ihrem Lebensglück einzubüßen. In »Älterwerden für Anfänger« schreibt der Diplompsychologe und Therapeut: »Darüber hinaus entstehen (…) auch neue Perspektiven und Eigenschaften, die von vielen Menschen im Alter als Zugewinne erlebt werden. So spüren ältere Menschen beispielsweise ein größeres Gefühl von Freiheit, das entsteht, weil viele Erwartungen, Leistungsansprüche und Verpflichtungen wegfallen. Sie erleben ein Gefühl von Leichtigkeit. Ein Mehr an Geduld. Eine Wiederbelebung der Fähigkeit, staunen zu können. Eine größere Gelassenheit, die sich darin zeigt, dass man besser als früher Dinge so lassen kann, wie sie sind. (…) Viele können Sozialbeziehungen – insbesondere mit Kindern – mehr als früher genießen. Und nicht wenige erleben ein Mehr an Humor, insbesondere auch im Hinblick auf die eigenen Nöte, Sorgen und Unzulänglichkeiten.«
    Eines der Geheimnisse für glückliches Altern, die er in seinem Buch verrät, ist beispielsweise, sich immer vor Augen zu führen, welche sogenannten Oberziele im Leben (zum Beispiel »unterwegs sein«) durch welche Unterziele (»Motorrad fahren«) erreicht werden können. Wenn man dann irgendwann nicht mehr in der Lage ist, auf sein Motorrad zu steigen, kann man so leichter etwas finden, womit man das Oberziel (»unterwegs sein«) trotzdem noch erreichen kann und wozu man gesundheitlich noch in der Lage ist. Wer einst mit dem Motorradfahren begonnen hat, um

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