Sternhagelgluecklich
gehört habe, bin ich zuerst einigermaßen verblüfft und denke, er macht einen Witz. Doch er meint es ernst. Für ihn ist »Nazi« auch kein lustiger Spitzname für die Deutschen generell, so wie manche Engländer oder Amerikaner gerne von »Krauts« sprechen. Die nächste halbe Stunde kommt er immer wieder darauf zu sprechen, wie seine mit ihm schwangere Mutter unter deutschen Bomben (»… unter euren Bomben!«) gelitten habe. Er hat auch ausreichend Atem dafür, denn im Gegensatz zu allen anderen in der Gruppe benutzt er seinen Spaten fast nur, um sich darauf zu stützen, während er mit großer Geste die Welt erklärt.
Ich habe normalerweise nie ein Problem, zerknirscht die Gräueltaten des Naziregimes zu verurteilen, zu bedauern und die besondere Verantwortung aller deutschen Folgegenerationen anzuerkennen. Aber mich maßregeln zu lassen, während ich am anderen Ende der Welt schwitzend Dreck schippe, um amerikanischen Kindern den Spielplatz zu verschönern, ist wirklich viel verlangt. Ich bin kurz davor, Barry die Meinung zu sagen – da fällt mir wieder ein, was Patrick heute Morgen über den Einbrecher im Treibhaus gesagt hat. Man kann nie ganz verstehen, welcher Schmerz in einer anderen Person steckt, worunter sie leidet, welche Kämpfe sie innerlich austragen muss.
Also schippe ich lächelnd weiter – und frage Barry, als er gerade zu seiner nächsten Alle-Deutschen-sind-Verbrecher-Tirade ansetzen will: »Erzählen Sie doch mal: Wie hat es Sie eigentlich nach Detroit verschlagen?«
Trotz Barrys Gemecker ist es ein erhebendes Gefühl, als der erste Baum schließlich gesund und gerade in der Erde steht und der Mulch, den wir kreisförmig um ihn aufgeschüttet haben, in der kühlen Nachmittagsluft dampft. Selbst Barry lässt für eine Weile sein Lieblingsthema ruhen und erklärt der Gruppe, dass die Bäume nicht nur eine optische Funktion haben und die Luft reinigen, sondern auch sehr wichtig für das Grundwasser dieser Gegend seien. Ich höre nur mit einem halben Ohr zu und stelle mir stattdessen vor, wie der Baum die Jahre überdauert, wie er Menschen Freude bringt und Schatten spendet – wie er vielleicht sogar noch da ist und jedes Jahr aufs Neue erblüht, wenn ich schon längst nicht mehr lebe.
Unsere Gruppe pflanzt noch fünf weitere Bäume, und als ich mich irgendwann umsehe, sind nahezu alle mit ihrer Arbeit fertig. Familien steigen wieder in ihre Autos, Schüler lassen sich ihre Beteiligung auf einer Karte bestätigen, eine Gruppe Helfer verlädt die Spaten und Rechen wieder auf einen Lkw. Hundertachtzig Bäume säumen nun den Weg entlang des Spielfeldes. Mit genügend Helfern hat es nur einen halben Tag gedauert. Einer der Verantwortlichen verrät mir jedoch, dass das allein nicht reicht. Rund zehntausend US -Dollar an Spenden sind zusätzlich zu allen ehrenamtlichen Helfern nötig: So viel kosten die Bäume, der Mulch, das Equipment, die Logistik. Eine Menge Geld – vor allem in einer so armen Stadt.
Ich will gerade gehen, als eine rundliche Frau in einer abgetragenen Football-Jacke auf unsere Gruppe zukommt. Rhonda wohnt in einem der heruntergekommenen Häuser nahe des Spielplatzes und hat ebenfalls mitgeholfen, die Bäume zu pflanzen. Jedenfalls so gut es ihre alten Knochen zuließen, versichert sie uns und kratzt sich verlegen am Kopf. Dann nimmt sie unsere Hände und beginnt laut zu beten.
Ich kann mich nicht mehr an den genauen Wortlaut ihres Gebets erinnern, das sie für die Bäume sprach und die Menschen, die sie gepflanzt hatten. Aber ich weiß noch, dass selbst ich Zweifler merkte, dass jeder Satz von Herzen kam und dass die Tränen, die ihr dabei über das Gesicht liefen, Tränen der Freude waren.
Goldene Schallplatten selbst gemacht
Am Samstag beschließe ich, mich für die harte Arbeit der vergangenen Tage – und für meine Engelsgeduld dem fiesen Barry gegenüber – zu belohnen. Ich gehe ins Baseballstadion und sehe mir in den wärmenden Strahlen der Frühlingssonne ein Spiel der Detroit Tigers an. Mit Bier, Nüsschen und einer großen Schaumstoffhand mit ausgestrecktem Zeigefinger, auf der groß »#1« steht. Vier Stunden relativ ereignisloser Sport, dafür Geplauder mit den Sitznachbarn, schöne Rituale wie das Seventh-Inning Stretch , bei dem das ganze Stadion aufsteht und das über hundert Jahre alte Lied »Take Me Out to the Ball Game« singt – ein kleiner Moment des Glücks, ebenso wie das Ritual nach Spielende: Alle Kinder, die Lust haben, dürfen einmal um das
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