Sternschnupperkurs
redete nicht weiter.
Was gut für Lucille war, denn es bedeutete, dass sie nun doch keinen grausamen Tod à la Hannibal Lecter erleiden würde.
Und für Suzy war es noch besser.
»Er hat mir leidgetan«, sagte sie zu Leo. Wundersamerweise war ihre Sprachfähigkeit zurückgekehrt. »Als mir klar wurde, wie viel es Harry bedeutete, hatte ich nicht das Herz, ihm seinen Wunsch abzuschlagen. Und es war ja nicht so, dass wir damit jemanden verletzt hätten.«
»Nein.« Leo sah eine Sekunde lang nachdenklich aus. »Nein, vermutlich nicht.«
»Ich muss jetzt gehen.« Die Standuhr im Flur schlug an. Suzy stand auf.
»Arbeit?« Leo lächelte.
»Arbeit. Ich muss einem Pärchen ein Haus in der Bell Barn Road zeigen.« Suzy zwang sich, konzentriert zu bleiben, als er ihr in ihren Mantel half. »Und um 15 Uhr habe ich einen Taxierungstermin im Durdham Park. Danach muss ich irgendeine Frau und ihre vier Kinder zu vier verschiedenen Häusern fahren … ach ja, der Spaß hört nie auf.«
Sie steckte in ihrem Mantel. Irgendwie hatten sie die Tür erreicht. Die Nähe zu Leo – und die Berührung seiner Hände auf ihrem Hals, als er ihren Kragen zurechtrückte – ließen Suzys Herz erneut in einen würdelosen Galopp ausbrechen.
Sie fürchtete, er könnte ihr Herz pochen hören, und griff daher rasch zur Türklinke. Im selben Bruchteil einer Sekunde tat das auch Leo.
»Tut mir leid, tut mir leid … äh, mir wird eben erst klar, wie spät es schon ist.« Errötend zuckte Suzy von der Türklinke zurück und stieß sich dabei die Schulter schmerzhaft – und hörbar – am Holzrahmen an. »Ach, ich Tölpel, also, ich muss jetzt los … und nicht vergessen: Treten, treten, packen, zerren ziehen.«
»Genau.« Leo nickte, dann streckte er den Arm aus und blockierte Suzys Durchkommen. »Suzy, wir müssen …«
»Ich muss jetzt los.« Sie schlüpfte unter seinem Arm schneller hindurch als Theo Walcott und trillerte: »Grüß Gabriella von mir. Ich sehe euch dann auf der Hochzeit!«
Natürlich würde sie das nicht. Suzy wurde zu ihrem Kummer klar, dass es ihr einfach viel zu wehtun würde, wenn sie mit ansehen müsste, wie Leo Gabriella heiratete.
O Gott, was mache ich hier? Ich muss doch verrückt sein. Was
mache
ich hier?
Neben ihr flüsterte Lucille: »Sieht sie nicht fabelhaft aus?«
»Wer?«
»Gabriella, du Schwachkopf!«
»Oh. Ja. Fabelhaft.«
»Tolles Kleid.«
»Danke.«
»Nicht du. Ich rede von Gabriellas Kleid. Ehrlich, sieh sie dir an.« Lucille sah Jaz an und schüttelte den Kopf. »Sie ist in Gedanken meilenweit weg.«
Suzy, die zwischen den beiden auf der dritten Kirchenbank von vorn saß, dachte: Nein, ich bin hier. Aber ich wünschte mir, ich wäre meilenweit weg. Was hat mich nur geritten, meine Meinung zu ändern und doch zur Hochzeit zu gehen?
»Hör auf zu schnüffeln«, zischelte Jaz. »Du klingst wie ein Drogensüchtiger.«
»Ich schnüffele, weil ich nicht weinen will.«
Und ich bin eine Drogensüchtige, wurde Suzy mit einem Aufwallen der Hoffnungslosigkeit klar. Leo ist meine Droge, und ich weiß nicht, wie ich ohne ihn leben soll.
»Sie macht es immer noch«, flüsterte Jaz ungläubig. Er stieß Lucille an. »Hast du ein Taschentuch übrig?«
O Leo, ich hätte dir sagen sollen, was ich empfinde. Warum habe ich es dir nur nie gesagt? Suzys Augen schwammen vor Tränen. Sie konzentrierte sich mit aller Kraft auf Leos dunklen Hinterkopf, zwang die Worte stumm dazu, irgendwie Eingang in sein Gehirn zu finden. Aber es funktionierte nicht. Er konnte sie nicht hören.
Im Grunde, weil es eben stumme Worte waren …
»Weiß einer der Anwesenden von einem Grund, warum dieser Mann und diese Frau nicht im heiligen Stand der Ehe vereint werden sollten?«
Der Vikar stellte die Frage fast übermütig. Suzy sah, wie Gabriella – ihr Kopf im Profil – kurz zu Leo auflächelte. Es war ein intimes, selbstsicheres Lächeln, die Art, die sagte: »Keine Sorge, nur noch ein paar Minuten, dann sind wir Mann und Frau.« Eigentlich war es ein ziemlich selbstgefälliges Lächeln.
»Ja, ich weiß einen«, rief Suzy, stand auf und winkte mit ihrem Gesangsblatt wie ein eifriger Bieter bei Sotheby. Sie wollte unter allen Umständen dafür sorgen, dass der Vikar sie auch sah – man stelle sich die Peinlichkeit vor, wenn er sie nicht entdeckte und sie sich wieder setzen musste.
Aber es war alles in Ordnung, er hatte sie definitiv bemerkt. Ebenso der Rest der Gemeinde – ein Chor aus Oooohs und Luftschnappern,
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