Sternstunden des Universums
entfernt. Doch wie sind sie dahin gekommen? Folgt man den Modellrechnungen, so hat sich folgendes Szenario entwickelt: Zunächst wurde ein Teil der Kleinkörper, die am Innenrand der an die Planeten anschließenden Planetesimalscheibe die Sonne umliefen, vom äußersten Planeten nach innen in den Bereich der anderen Riesenplaneten »gestreut«. Der Begriff »streuen« besagt hier, dass der Planet kraft seiner Gravitation die Kleinkörper aus ihrer Bahn geschleudert hat. In der Folgezeit kam es dann zu einer Vielzahl enger Begegnungen zwischen diesen Planetesimalen und den vier Planeten. Dabei wurden nicht nur die Bahnen der Planetesimale, sondern auch die der Planeten durch den gegenseitigen Schwerkrafteinfluss kontinuierlich verändert. Jupiter begann langsam in Richtung Sonne zu wandern, Saturn, Uranus und Neptun drifteten gemächlich nach außen.
Diese »sanfte« Migration der Planeten währte rund 600 Millionen Jahre. Dann änderte sich die Situation dramatisch. Jupiter und Saturn hatten sich mittlerweile so weit voneinander entfernt, dass sich zwischen ihnen eine 2-zu-1-Resonanz einstellte. Das bedeutet: Jupiter umkreiste die Sonne zweimal in der Zeit, in der Saturn genau einen Umlauf absolvierte. Nach jedem Umlauf des Saturn begegnete er dem Planeten Jupiter stets an derselben Stelle seiner Bahn. Mit ihrer vereinten Schwerkraft, die während der einige zehn Millionen Jahre andauernden Resonanz immer an derselben Stelle im System wirkte, sorgten nun die beiden Planeten für ausgesprochen turbulente Verhältnisse unter den anderen Mitgliedern. Uranus und Neptun wurden auf chaotische, stark elliptische Bahnen weit nach außen geworfen, wobei sie sich auch noch durch ihre Schwerkraft wechselseitig störten. In 50 Prozent aller Simulationsrechnungen haben Uranus und Neptun dabei sogar ihre Plätze getauscht. Das könnte erklären, warum Neptun eine größere Masse als Uranus besitzt, und es könnte ein Hinweis darauf sein, dass im frühen Sonnensystem die vier Riesenplaneten anders als heute aufgereiht waren, nämlich Jupiter, Saturn, Neptun, Uranus.
Auch die Kleinkörper in der Scheibe wurden von der Umstrukturierung des Sonnensystems nicht verschont. So haben die beiden Planeten auf ihrem Weg nach außen durch die Planetesimalscheibe unzählige der in ihrem Einflussbereich befindlichen Kleinkörper mit sich gerissen. Heute bilden diese Körper den von Asteroiden und Kometen bevölkerten Kuiper-Gürtel am Rande des Sonnensystems. Ein Teil der Kleinkörper gelangte aber auch ins Innere des Planetensystems, mit der Folge, dass die inneren Planeten einem schweren Bombardement ausgesetzt wurden. Insbesondere auf dem Merkur und dem Mond ist die verheerende Wirkung dieser Einschläge noch gut zu beobachten. In unserer Zeit kommt es nur noch vereinzelt zu spektakulären Kollisionen von Asteroiden oder Kometen mit einem der Planeten. Der Komet Shoemaker-Levy 9, der 1994 auf den Jupiter stürzte, hat nochmals gezeigt, welche Energie derartige Bomben aus dem Weltraum freisetzen. Mittlerweile sind auch die Bahnen von Uranus und Neptun wieder nahezu kreisförmig. Durch die vielen Begegnungen der Planeten mit anderen Kleinkörpern verkleinerten sich deren Exzentrizitäten im Laufe der Zeit immer mehr.
Fasst man die Ergebnisse aus dem Nizza-Modell zusammen, so lässt sich Folgendes feststellen: Mit der Annahme, dass anfänglich die vier großen Planeten in der protoplanetaren Scheibe im Vergleich zu ihren heutigen Bahnen kompakter gestaffelt waren und die Sonne in deutlich geringerem Abstand umrundeten, liefert die Simulation der Entwicklung des Sonnensystems ein Bild, das gut mit den heutigen Gegebenheiten übereinstimmt.
Bleibt abschließend noch die Frage, auf welchen Bahnen sich die Planeten Uranus und Neptun im frühen Sonnensystem bewegten. Hat tatsächlich Neptun einst die Sonne in geringerem Abstand umrundet als Uranus? Wie schon erwähnt, deutet etwa die Hälfte aller Simulationsergebnisse darauf hin. 2007 gelang es Steve Desch von der Arizona University in Tempe, diese Theorie mit neuen Berechnungen zur protoplanetaren Scheibe zu erhärten. Dass der Verlauf der Flächendichte im solaren Nebel nicht so gewesen sein konnte, wie er sich aus dem MMSN-Modell ergibt, war unbestritten. Doch welches Ergebnis erhält man, wenn man das MMSN-Modell mit dem Nizza-Modell kombiniert? Wenn man die Flächendichte im solaren Nebel mit den vier großen Planeten in den Positionen berechnet, die das Nizza-Modell vorgibt? Steve Desch
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