Sternstunden des Universums
ging dabei genauso vor, wie bereits beim MMSN-Modell beschrieben, nur dass diesmal die Massen der vier Planeten über die Nizza-Modell-Bahnen »verschmiert« wurden. Erste Berechnungen zeigten, dass die Flächendichte nach außen viel schneller abfällt als im MMSN-Modell, dafür ist sie jedoch im Bereich der vier Planeten etwa fünfmal größer. Damit war gewährleistet, dass die Planeten auf ihren Bahnen bis zur Auflösung des solaren Nebels ausreichend Masse »aufsammeln« konnten, um zu ihrer heutigen Größe heranzuwachsen. Was jedoch störte, war die Tatsache, dass die Flächendichte nicht gleichmäßig nach außen abfiel, sondern im Bereich von Uranus und Neptun eine starke Unregelmäßigkeit aufwies. Das passte nicht zum allgemeinen Trend und stand im Widerspruch zu einer physikalisch plausiblen Massenverteilung in der Scheibe. Doch als Desch die Positionen von Uranus und Neptun vertauschte, erhielt er für die Flächendichte plötzlich eine vom Zentrum bis zum Rand der Scheibe gleichmäßig abfallende Kurve.
Dieses Ergebnis hat alle überrascht. Denn damit musste Neptun näher an der Sonne entstanden sein als Uranus: Neptun bei rund 11,5 AE und Uranus bei circa 14,2 AE. Angedeutet hatte sich das ja schon bei den Simulationsrechnungen des Nizza-Modells, die in der Hälfte aller Fälle einen Platzwechsel von Uranus und Neptun zum Ergebnis hatten. Der glatte Kurvenverlauf der Flächendichte, der sich nur einstellt, wenn man die Plätze von Uranus und Neptun vertauscht, lässt es nun sehr wahrscheinlich erscheinen, dass unser Sonnensystem während der ersten rund 15 Prozent seiner Geschichte völlig anders ausgesehen hat. Erst als Jupiter und Saturn durch ihre 2-zu-1-Resonanz 600 bis 700 Millionen Jahre später das Sonnensystem in heftige Turbulenzen stürzten, ist Neptun wohl über die Bahn des Uranus hinaus gesprungen (Abb. 22).
Abb. 22: Nach Steve Desch korrigierte ursprüngliche Positionen der Planeten Uranus und Neptun. Die Linien verdeutlichen die rund 600 Millionen Jahre nach Entstehung des Sonnensystems einsetzende »Wanderung« der Gasplaneten auf ihre heutigen Bahnen um die Sonne.
Damit erweist sich das Sonnensystem nicht, wie man vermuten könnte, als ein unveränderliches Gebilde, sondern als eine sich im Laufe der Zeit verändernde, hochdynamische Anordnung sich wechselseitig beeinflussender Körper. Ein Blick in die ferne Zukunft hat ergeben, dass sehr wahrscheinlich auch der Planet Merkur in ein paar Milliarden Jahren der Gravitationskraft des Jupiter wird Tribut zollen müssen. Entweder wird er aus seiner Bahn und somit ganz aus dem Sonnensystem geschleudert, oder seine Bahn wird so exzentrisch, dass eine Kollision mit der Erde wahrscheinlich wird. Vielleicht heißt es ja dann: Spring, Merkur, spring!
Kapitel 6
Vorfahrt beachten!
Spitzfindige behaupten: Im gesamten Sonnensystem gibt es nur einen »Mond«, und das ist der Trabant, der unsere Erde umkreist. Genau betrachtet haben sie sogar recht. Natürlich besitzen auch andere Planeten unseres Sonnensystems Trabanten. Gegenwärtig sind vom Mars zwei, vom Jupiter 63, vom Saturn 60, vom Uranus 27 und vom Neptun 13 Begleiter bekannt. Die meisten haben einen wohlklingenden Namen, beispielsweise »Callisto« oder »Amalthea«. Der Rest trägt anstelle eines Namens eine Kennziffer, die Auskunft gibt, zu welchem Planeten der Trabant gehört. Doch nicht einer unter ihnen heißt »Mond«! Der Name »Mond« ist für den Begleiter der Erde reserviert. Ähnlich verhält es sich mit dem Stern, um den die genannten Planeten kreisen. Nur er hört auf den Namen »Sonne«. Alle anderen Sterne, soweit bisher katalogisiert, haben andere Namen oder wiederum Kennziffern.
Doch bleiben wir bei den Trabanten. Besonders in den letzten Jahren hat die Wissenschaft über diese Objekte eine Menge neuer Erkenntnisse gewonnen und zum Teil auch Verwunderliches in Erfahrung gebracht. Neben den im Rahmen der »Apollo«-Missionen erfolgten Mondlandungen haben insbesondere die Raumsonden »Voyager 1« und »2«, »Galileo« und »Cassini« viel zum Verständnis dieser Himmelskörper beigetragen. So haben sich die Jupitertrabanten Ganymed, Callisto, Europa und Io, die bereits 1610 von Galileo Galilei entdeckt wurden, als eigene Welten entpuppt. Unter der vereisten Oberfläche Europas soll sich ein kilometertiefer Ozean verbergen, in dem sich vielleicht sogar Formen primitiven Lebens entwickelt haben. Und auf Io wüten Vulkane, die gewaltige Rauchwolken bis zu 300 Kilometer
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