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Sternstunden des Universums

Sternstunden des Universums

Titel: Sternstunden des Universums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Lesch
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Mass Solar Nebula«-Modell (MMSN) zurück. In diesem Modell schätzt man zunächst den Metallanteil – das sind alle Elemente schwerer als Helium – der Planeten Merkur bis Neptun ab. Wird dieser Anteil noch um den zugehörigen Gasanteil, vornehmlich Wasserstoff und Helium, ergänzt, so erhält man die jeweilige »erweiterte« Gesamtmasse der einzelnen Planeten. Der Gasanteil lässt sich dabei anhand der Häufigkeitsverteilung der Elemente in der Sonne abschätzen. Geht man nun davon aus, dass die so ermittelte Masse eines Planeten homogen über eine ringförmige Fläche um die Sonne »verschmiert« war, deren mittlerer Radius gleich der gegenwärtigen mittleren Entfernung des jeweiligen Planeten von der Sonne ist, so erhält man die ursprüngliche Massenverteilung im solaren Nebel. Die örtliche Flächendichte ist dann gleich der erweiterten Masse des jeweiligen Planeten geteilt durch die zugehörige Ringfläche.
    Mit diesen Daten lässt sich der Verlauf der Flächendichte quer über die protoplanetare Scheibe bestimmen. Im MMSN-Modell nimmt die Flächendichte umgekehrt proportional zur Entfernung von der Sonne hoch 3/2 ab. Das gilt vom Innenrand der Merkurbahn bis über die Neptunbahn hinaus, also im Bereich von rund 0,3 bis 30 Astronomischen Einheiten (1 Astronomische Einheit oder Astronomical Unit, 1 AE oder AU, entspricht der Entfernung Erde – Sonne). Addiert man die in diesem Bereich enthaltene Masse des solaren Nebels, so erhält man einen Wert von 0,013 Sonnenmassen. In Anbetracht der großen Unsicherheiten bei der Bestimmung der erweiterten Planetenmassen ist das ein akzeptables Ergebnis. Ähnliche Werte hat man mittlerweile auch bei der »Vermessung« protoplanetarer Scheiben um andere Sterne erhalten.
    Versucht man die Entstehung der Planeten aus dem rekonstruierten solaren Nebel zu verstehen, so stößt man auf gravierende Probleme. Insbesondere die Bildung der beiden Planeten Uranus und Neptun lässt sich nicht erklären. Beide Planeten haben mindestens eine mit der Erdmasse vergleichbare Menge an Wasserstoff und Helium an ihre Gesteins- beziehungsweise Eiskerne gebunden. Wie schon erwähnt, ist die Anziehungskraft von mindestens zehn Erdmassen nötig, damit ein Körper beginnen kann, Gas aus dem solaren Nebel zu akkretieren. Doch bei der niedrigen Flächendichte, die das MMSN-Modell insbesondere in den Außenbereichen des solaren Nebels vorgibt, sollte sich die Scheibe schon aufgelöst haben, lange bevor Uranus und Neptun auf zehn Erdmassen herangewachsen sind. Legt man den Modellrechnungen zur Planetenentstehung das MMSN-Modell zugrunde, so hätte es Milliarden Jahre gedauert, bis die beiden Planeten die entsprechende Masse auf sich vereinigt hätten. Selbst für den Planeten Jupiter, der nur rund fünf Astronomische Einheiten von der Sonne entfernt ist, liefern die Modellrechnungen eine Entstehungszeit von vielen Millionen Jahren. Mit anderen Worten: Die Planeten können nicht dort entstanden sein, wo sie heute ihre »Kreise« ziehen. Vielmehr dürften sie in einem deutlich geringeren Abstand zur Sonne herangewachsen sein, dort, wo die Flächendichte der Scheibe wesentlich größer war. Im Vergleich zu heute muss das Planetensystem also einmal völlig anders ausgesehen haben, und irgendwann muss es zu einer tiefgreifenden Umordnung gekommen sein.
    Wie das Sonnensystem vermutlich ausgesehen und wie es sich entwickelt hat, haben 2005 die Wissenschaftler Tsiganis, Gomes und Morbidelli zusammen mit ihren Kollegen anhand des sogenannten Nizza-Modells simuliert. Der Name geht zurück auf die bekannte Stadt am Mittelmeer, wo das Modell entwickelt wurde. Im Nizza-Modell starten die vier großen Planeten auf nahezu kreisförmigen, praktisch in einer Ebene liegenden Bahnen. Mit Ausnahme von Jupiter, der bei 5,45 AE, also auf einem 0,25 AE größeren Bahnradius als heute platziert ist, starten die anderen drei auf viel engeren Bahnen: Saturn bei 8 bis 9 AE, Uranus bei 11 bis 13 AE und Neptun bei 13,5 bis 17 AE (Abb. 21). Außerdem gehen die Forscher davon aus, dass sich jenseits dieser Planeten eine mit Planetesimalen aus der Entstehungszeit des Sonnensystems bevölkerte Scheibe anschließt, die bis 30 AE hinausreicht. Die in diesem Scheibenbereich versammelte Masse bemisst sich auf rund 35 Erdmassen.

    Abb. 21: Positionen der vier Gasplaneten unseres Sonnensystems bei ihrer Entstehung entsprechend dem Nizza-Modell.
    Heute sind Jupiter 5,2 AE, Saturn 9,54 AE, Uranus 19,2 AE und Neptun 30,1 AE von der Sonne

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