Sterntagebücher
ontologische Testament dieses hervorragenden Philosophen.
Als ich das gelesen hatte, erschien der junge Bruder, um mich im Namen des Priors zum Abendbrot zu bitten. Ich nahm es nur in seiner Gesellschaft ein. Pater Darg selbst aß nichts, er trank nur von Zeit zu Zeit Wasser aus einem kristallenen Becher. Der Imbiß war bescheiden: ein Tischbeinfrikassee, ziemlich sehnig; wie ich mich überzeugte, werden die Möbel des Waldes in der Umgebung meist fleischig, wenn sie verwildern. Ich fragte jedoch nicht, warum sie eigentlich nicht holzig werden, denn ich strebte bei meiner Lektüre nach höheren Dingen, und so kam es zu einem ersten Gespräch mit dem Prior über theologische Themen.
Er erklärte mir, daß es sich bei dem Duismus um einen Glauben an Gott handele, jedoch ohne Dogmen, die allmählich im Verlaufe der biotischen Revolutionen zerbröckelt seien. Am schwersten war die Krise der Kirche, die durch die Zerstörung des Dogmas von der Unsterblichkeit der Seele hervorgerufen wurde, aufgefaßt im Sinne der Perspektive eines ewigen Lebens. Die Dogmatik wurde im 25. Jahrhundert von drei aufeinanderfolgenden Techniken angegriffen, von der des Einfrierens, des Umkehrens und des Umgeistigens. Die erste bestand darin, daß man den Menschen zu Eis gefrieren ließ, die zweite darin, daß man die Richtung der Ontogenese umkehrte, und die dritte darin, daß man das Bewußtsein beliebig manipulierte. Den Angriff der Frigidisierung konnte man noch abwehren, indem man behauptete, daß der Tod, in den der erfrorene und dann wiederbelebte Mensch verfalle, nicht identisch sei mit jenem Tod, von dem die Heilige Schrift spreche, daß nämlich die Seele danach ins Jenseits davonfliege. Diese Auslegung war unerläßlich, denn wenn es sich um einen gewöhnlichen Tod handelte, müßte der Wiederauferstandene etwas darüber wissen, wo er mit seiner Seele während der hundert oder sechshundert Jahre seines Hingeschiedenseins geweilt habe.
Einige Theologen, unter ihnen Gauger Drebdar, meinten, daß der wirkliche Tod erst nach dem Verfall eintrete (»zu Staub wirst du werden«), aber diese Version konnte nicht aufrechterhalten werden, nachdem das sogenannte Resurrektionsfeld erfunden worden war, das den lebenden Menschen eben aus der Asche, das heißt aus dem zu Atomen zerfallenen Körper, zusammensetzte, und auch dann wußte der Wiederbelebte nichts davon, daß seine Seele in der Zwischenzeit irgendwo anders gewesen sei. Das Dogma wurde durch eine Vogel-Strauß-Taktik gewahrt, indem man jeder Definition der Frage auswich, wann der Tod so vollständig sei, daß sich danach die Seele bestimmt aus dem Körper entferne. Dann jedoch kam die umkehrbare Ontogenese; ihre Technik war nicht absichtlich gegen die Glaubensdogmatik gerich tet, aber sie erwies sich als zwingend für die Liquidierung der Entstellungen einer Entwicklung durch Zeugung: Man lernte es, die Entwicklung anzuhalten und umzukehren; nach einer Wendung um einhundertachtzig Grad begann man noch einmal bei der befruchteten Zelle. Bald geriet das Dogma von der unbefleckten Empfängnis ins Wanken und mit ihm das von der Unsterblichkeit der Seele; in einem Zuge sozusagen, denn dank der retroembryonalisierenden Technologie kann man jeden Organismus durch alle vorhergehenden Stadien zurückdrehen, sogar so weit, daß die befruchtete Zelle, aus der er entstanden war, sich erneut in Ei und Keim trennte.
Das führte zu großem Ärger, denn das Dogma verkündete, daß Gott die Seele im Augenblick der Befruchtung erschaffe, aber wenn man die Befruchtung rückgängig machen und damit annullieren konnte, indem man ihre beiden Bestandteile trennte, was sollte dann mit der bereits erschaffenen Seele geschehen? Ein Nebenprodukt dieser Technik war die Klonbildung, das heißt die Anregung zur Entwicklung beliebiger Zellen in einen normalen Organismus, die einem lebenden Körper entnommen wurden, zum Beispiel der Nase, der Ferse, der Mundschleimhaut und so weiter. Da dies ohne jede Befruchtung zu machen war, funktionierte die Biotechnik der unbefleckten Empfängnis, die man denn auch im Industriemaßstab in Betrieb nahm. Die Embryogenese konnte man ebenfalls schon umkehren, beschleunigen oder so ablenken, daß sich zum Beispiel eine menschliche Frucht in eine Affenfrucht verwandelte. Wie war es nun mit der Seele bestellt – wurde sie so zusammengedrückt und auseinandergezogen wie eine Ziehharmonika, oder verschwand sie bei der Umleitung der Fruchtentwicklung vom Menschen zum
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