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Sterntagebücher

Sterntagebücher

Titel: Sterntagebücher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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nicht gegeben hatte, weil ihn die Befruchtungsexperten absichtlich projektiert hatten. Das alles rief von Seiten der Weltlichkeit Widerspruch hervor, sogar sehr heftigen. Aber vergebens.
      Pater Darg erzählte mir das alles mit der größten Ruhe, als spräche er von augenscheinlichen Dingen; im übrigen waren sie für ihn wirklich Selbstverständlichkeiten, denn sie waren ein Teil der dychthonischen Geschichte. Obwohl ich unzählige Fragen auf den Lippen hatte, hielt ich es nicht für geboten, Aufdringlichkeit zu zeigen, und so kehrte ich nach dem Abendbrot in meine Zelle zurück und vertiefte mich in den zweiten Band der Arbeit von Prof. A. Grags, in einen Band, der, wie ein Vermerk auf der ersten Seite bezeugte, ein verbotenes Werk war.
      Ich erfuhr, daß im Jahre 2401 Byg Brogar, Dyrr Daagard und Mor Darr weit das Tor zur uneingeschränkten autoevolutiven Freiheit aufstießen; diese Gelehrten glaubten zutiefst daran, daß der dank ihrer Entdeckung entstandene Homo Autofac Sapiens, das heißt der vernünftige Selbstformer, volle Harmonie und Glück erreichen werde, wenn er sich solche Formen des Körpers und solche Eigenschaften der Seele verleihe, die er als die vollkommensten erkenne, daß er die Barriere der Unsterblichkeit durchstoßen werde, sobald er dies beschließe – mit einem Wort, sie zeigten im Verlaufe der zweiten biotischen Revolution (der ersten verdankte man die Keimlinge, die Verbrauchsgüter erzeugten) einen Maximalismus und Optimismus, wie sie für die Geschichte der Wissenschaften typisch sind. Denn ähnliche Hoffnungen verbindet man gewöhnlich mit dem Aufkommen jeder großen Technologie.
      Zunächst entwickelte sich die autoevolutive Ingenieurkunst, das heißt die sogenannte Befruchtungsbewegung im Sinne ihrer aufgeklärten Entdecker. Die Ideale der Gesundheit, der Harmonie, der geistig-körperlichen Schönheit wurden verbreitet, die Verfassungsgesetze garantierten jedem Bürger das Recht, solche psychosomatischen Merkmale zu besitzen, die für die wertvollsten gehalten wurden. Bald wurden auch alle Entartungen und angeborenen Gebrechen sowie Häßlichkeit und Dummheit zu überlebten Anachronismen. Jedoch die Entwicklung hat es an sich, daß die fortschrittliche Bewegung sie immer weitertreibt, also war es damit nicht getan. Die Anfänge der weiteren Veränderungen wirkten vorerst noch harmlos. Die Mädchen verschönten sich dank der Zucht von Hautbijouterie und anderer Schönheitsprodukte des Körpers (Ohren in Herzform, Perlen aus Fingernägeln), die Burschen protzten mit Seiten- und Rückenbärten, mit Kämmen auf dem Kopf, mit Kiefern, die ein doppeltes Gebiß hatten, und ähnlichen Dingen.
      Zwanzig Jahre später entstanden die ersten politischen Parteien. Ich kam beim Lesen nicht gleich darauf, daß »Politik« auf Dychthonien etwas anderes bedeutete als bei uns. Das Gegenteil des politischen Programms, das die Vervielfältigung der Körperformen postuliert, ist das monotische Programm, das den Reduktionismus verkündet, das heißt das Bedürfnis, sich der Organe zu entäußern, die von den Monotikern der jeweiligen Vereinigung für überflüssig gehalten werden. Als ich bis zu dieser Stelle der faszinierenden Lektüre gelangt war, stürzte mein junger Mönchsbruder, ohne anzuklopfen, in die Zelle und befahl mir voll unverhohlener Angst, sie sofort zu verlassen, der Pförtner habe eine Gefahr angekündigt. Ich fragte: »Was für eine?«, doch er trieb mich nur an und rief, es sei jetzt keine Zeit zu verlieren. Ich hatte keine persönlichen Sachen da, also klemmte ich nur das Buch unter den Arm und rannte meinem Wegführer hinterdrein.
      Im unterirdischen Refektorium machten sich schon alle Destruktianermönche fieberhaft zu schaffen; über eine Steinrinne glitten ganze Berge von Büchern herunter, die oben von den Bibliothekarbrüdern mit Stangen hinuntergestoßen wurden; man verlud sie in Behälter und ließ sie in größter Eile in die Tiefe des Brunnens hinab, der in den rohen Felsen gehauen war; vor meinen staunenden Augen hatten sich die Mönche im Nu nackt ausgezogen und warfen rasch auch ihre Kutten und Kapuzen in die verschalte Öffnung – sie alle waren menschenförmige Roboter. Daraufhin nahm sich eine ganze Schar meiner an, indem sie mir wunderliche Schößlinge von ballonartiger und schlangenartiger Form an den Leib klebten, Schwänze oder Extremitäten – ich fand mich darin nicht zurecht, so sehr beeilten sie sich. Der Prior legte mir selbst eine Wämpe

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