Sterntagebücher
eine Tür ächzte, man warf mich auf die Knie und riß mir den Stoff vom Kopf.
Ich befand mich in einem kleinen Raum, der von weißen Lampen erhellt war; sie hingen an der Decke, hatten Schnurrbärte und Füße und wechselten von Zeit zu Zeit den Ort. Ich kniete am Boden, im Nacken hielt mich jemand fest, der hinter mir stand, vor mir war ein Tisch aus ungehobeltem Holz, dahinter saß eine Gestalt in einer grauen Kapuze, die auch das Gesicht verhüllte. Die Kapuze hatte Augenöffnungen, die von durchsichtigen Scheibchen verschlossen waren. Die Gestalt schob ein Buch beiseite, in dem sie wohl gerade geblättert hatte, sah mich flüchtig an und sagte mit ruhiger Stimme zu dem, der mich noch immer festhielt: »Zieh ihm die Saite heraus.«
Jemand ergriff mich am Ohr und zog daran, so daß ich vor Schmerz aufschrie. Noch zweimal versuchte man, mir die Ohrmuschel abzureißen, aber als das nicht gelang, trat eine gewisse Be stürzung ein. Derjenige, der mich festhielt und mich an den Ohren zog – er war ebenfalls in grobes graues Leinen gehüllt –, rechtfertigte sich mit der Bemerkung, daß es sich um ein neues Modell handeln müsse. Ein anderer Kerl trat an mich heran und versuchte, mir der Reihe nach die Nase, die Brauen und schließlich den ganzen Kopf abzudrehen; als auch das nicht die erwartete Wirkung zeitigte, befahl der Mann am Tisch, mich loszulassen.
»Wie tief bist du versteckt?« fragte er.
»Wie bitte?« fragte ich verdutzt. »Ich verstecke mich nirgends, und ich begreife auch nichts. Warum quält ihr mich?«
Das Wesen stand auf, ging um den Tisch herum und faßte mich an den Schultern – mit Händen von menschlicher Form, die jedoch in Stoffhandschuhen staken. Nachdem es meine Knochen ertastet hatte, stieß es einen kleinen Schrei der Verwunderung aus. Auf ein Zeichen führte man mich durch einen Gang, an dessen Decke Lampen entlangwanderten, die sich offenbar langweilten. Ich kam in eine andere Zelle oder eigentlich in eine Kammer, die finster war wie ein Grab. Ich wollte nicht hineingehen, wurde aber mit Gewalt hineingestoßen; die Tür knallte hinter mir zu, etwas rauschte, und ich vernahm eine Stimme hinter einer unsichtbaren Schranke, die wie in himmlischer Ekstase rief: »Gott sei Dank! Ich kann alle seine Knochen zählen!« Nachdem ich diese Stimme vernommen hatte, widersetzte ich mich noch heftiger denen, die mich gleich wieder aus dem finsteren Loch herauszerrten; als ich aber sah, wie sie mir gänzlich unerwartet Achtung zollten, wie sie mich mit höflichen Gesten einluden und mir mit ihrer ganzen Haltung Reverenz erwiesen, ließ ich mich weiter in den unterirdischen Gang führen, der einem städtischen Abwässerkanal ähnelte, obwohl er sauber war – die Wände waren gekalkt, und feiner sauberer Sand bedeckte den Boden. Die Hände hatte ich bereits frei, so daß ich mir unterwegs die schmerzenden Stellen im Gesicht und am Körper zu massieren begann.
Zwei Wesen in bodenlangen grauen Gewändern und Kapuzen, mit einer Schnur umwunden, öffneten vor mir eine aus Brettern gezimmerte Tür. Im Hintergrund der Zelle , die etwas größer war als jene, in der man versucht hatte, mir Nase und Ohren abzuschrauben, stand sichtlich gerührt eine maskierte Gestalt, die mich offenbar erwartete. Nach einer Unterhaltung, die eine Viertelstunde dauerte, stellte sich mir die Lage ungefähr folgendermaßen dar: Ich befand mich im Hospiz eines lokalen Ordens, der sich entweder vor Verfolgung versteckte oder der verbannt war; man hatte mich für ein »provozierendes« Lockmittel gehalten, weil mein Aussehen – Gegenstand der Anerkennung der Brüder des Destruktianerordens – nach dem Gesetz verboten war. Der Prior – ihn hatte ich vor mir – erläuterte mir folgendes: Wäre ich ein Köder gewesen, so hätte ich aus Segmenten bestanden, die zerfallen wären, wenn man mir mit dem Ohr die »innere Saite« herausgerissen hätte. Was die andere Frage betrifft, die mir der untersuchende Mönch (ein älterer Pförtnerbruder) gestellt hatte, so war er der Annahme gewesen, ich sei eine Art Plastikmannequin mit eingebautem Komputer. Erst die Durchleuchtung mit Röntgenstrahlen hatte den Sachverhalt geklärt.
Der Prior, Pater Dyzz Darg, entschuldigte sich sehr herzlich für das peinliche Mißverständnis und fügte hinzu, daß er zwar bereit sei, mir die Freiheit wiederzugeben, mir aber nicht rate, an die Oberfläche hinaufzugehen, weil ich dort in ernste Gefahr geraten würde – ich sei
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