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Sterntagebücher

Sterntagebücher

Titel: Sterntagebücher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Affen irgendwo unterwegs?
      Nach dem Dogma konnte eine Seele, wenn sie einmal entstanden war, weder verschwinden noch kleiner werden, denn sie war eine unteilbare Einheit. Man überlegte schon, ob man die Befruchtungsingenieure nicht mit einem Bannfluch belegen sollte, aber man tat dies nicht, und zwar mit Recht, denn nun verbreitete sich die Ektogenese. Zunächst wurde kaum einer und schließlich niemand mehr aus der Verbindung eines Mannes mit einer Frau geboren, sondern aus einer Zelle, die im Uterator (einer künstlichen Gebärmutter) eingeschlossen war, und man konnte schwerlich der gesamten Menschheit die Sakramente mit der Begründung verwehren, daß sie durch Jungfernzeugung entstanden war. Obendrein folgte schon die nächste Technologie – die des Bewußtseins. Mit dem Problem des Geistes in der Maschine, der durch die Intellektronik und ihre vernünftigen Komputer geboren wurde, wußte man sich noch zu helfen, aber danach kam die nächste, die des Bewußtseins und der Psyche in Flüssigkeiten; man synthetisierte kluge und denkende Lösungen, die man in Flaschen abfüllen, umgießen, zusammenschütten konnte, und jedesmal entstand eine Persönlichkeit, mitunter vergeistigter und klüger als alle Dychthonier zusammengenommen.
      Um die Frage, ob eine Maschine oder eine Lösung so etwas wie eine Seele haben könne, gab es dramatische Auseinandersetzungen auf der Synode im Jahre 2479, bis man dort ein neues Dogma aufstellte, das von der mittelbaren Schöpfung, welches besagte, Gott habe den von ihm erschaffenen vernünftigen Wesen die Macht der Zeugung von Intellekten des nächsten Wurfes verliehen, aber das war noch nicht das Ende der Wandlungen, denn bald stellte es sich heraus, daß die künstlichen Intelligenzen andere, nächstfolgende produzieren konnten oder auch nach eigenem Kalkül menschenförmige Wesen oder gar normale Menschen aus einem beliebigen Haufen Materie zu synthetisieren vermochten. Man unternahm später weitere Versuche, das Dogma von der Unsterblichkeit zu retten, aber sie brachen im Feuer der weiteren Entdeckungen zusammen, die in wahren Lawinen über das 26. Jahrhundert hereinstürzten; kaum hatte man das Dogma mit einer abgewandelten Auslegung abgestützt, da entstand bereits die sie negierende Bewußtseinstechnologie.
      Es kam zu einer Reihe von Ketzereien und zur Entstehung von Sekten, die den allgemein bekannten Tatsachen widersprachen; die duistische Kirche indes behielt nur ein Dogma bei, das der mittel baren Schöpfung. Was hingegen das Überdauern nach dem Tode, den Glauben an die Fortsetzung der individuellen Persönlichkeiten, betraf, so ließ sich dies nicht mehr vor der Vernichtung retten, denn weder die Persönlichkeit noch die Individualität blieben zeitlich erhalten. Man konnte bereits zwei oder mehr Geister in einem zusammenfassen, bei den Maschinen, bei den Lösungen und auch bei den Menschen; man konnte dank der Personetik ganze in Maschinen eingeschlossene Welten produzieren, in denen vernünftige Daseinsformen entstanden, die ihrerseits in dieser Abgeschiedenheit den nächsten Wurf intelligenter Personen zu konstruieren vermochten, man konnte Intelligenzen potenzieren, teilen, vervielfachen, reduzieren und so weiter. Dem Verfall der Dogmatik folgte der Verfall der Glaubensautorität, es erloschen auch die Hoffnungen auf die früher verbürgten Verheißungen vom ewigen Licht, zumindest für einzelne Individuen.
      Als die Synode des Jahres 2542 sah, daß sie in der theologischen Bewegung nicht mit dem technischen Fortschritt Schritt hielt, gründete sie den Orden der Prognositen, der sich mit futurologischen Arbeiten im Bereich des heiligen Glaubens befassen sollte. Das Bedürfnis nach einer Antizipierung seiner weiteren Geschicke war nämlich sehr dringend. Die Unmoral vieler neuer Biotechnologien erschreckte nicht nur die Gläubigen; dank der Klonisierung zum Beispiel konnte man neben normalen Personen biologische Wesen produzieren, die fast hirnlos waren und sich für mechanische Arbeiten eigneten, oder gar Wesen mit entsprechend gezüchteten Geweben, die vom menschlichen oder tierischen Körper stammten. Man konnte Zimmer und Wände auslegen, Einlagen, Stecker, Verstärker oder Abschwächer von Intelligenz erzeugen, mystische Zustände von Begeisterung in einem Komputer, in einer Flüssigkeit erwecken, ein Ei aus dem Froschlaich in einen Weisen verwandeln, versehen mit einem menschlichen, einem tierischen oder einem solchen Körper, den es bislang noch

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